Zauberschiffe 03 - Der Blinde Krieger
äußern.
Das kleinere Patrouillenboot, das sowohl vom Wind als auch von Rudern angetrieben wurde, holte rasch auf. Zum ersten Mal bemerkte Wintrow den Rammsporn am Bug der Galeone. Vom Deck des Chalcedaners zischte plötzlich ein ganzer Schwarm Pfeile auf sie zu. Wintrow rief Viviace eine unartikulierte Warnung zu, denn einige davon waren Brandpfeile. Die erste Salve verfehlte ihr Ziel, aber die Söldner hatten ihre Absichten klargestellt.
Plötzlich machte die Marietta in einem gewagten und seemännisch exzellenten Manöver kehrt und änderte ihren Kurs. Ihre Kurve würde sie hinter die Viviace und vor den Bug des Chalcedaners bringen. Wintrow glaubte Sorcor am Ruder des Piratenschiffes zu erkennen. Anscheinend trieb er seine Leute zu noch größeren Bemühungen an. Urplötzlich flatterte die Rabenflagge von ihrem Mast und schien den Chalcedaner zu verspotten. Wintrow hielt unwillkürlich inne und dachte nach. Was für ein Kapitän war dieser Kennit, dass er eine solche Loyalität in seinen Leuten hervorrufen konnte? Sorcors Absichten waren unmissverständlich. Er wollte die Verfolger von seinem Kapitän ablenken und deren Aufmerksamkeit auf sich selbst ziehen.
Von seiner erhöhten Position aus sah Wintrow, wie das Deck der Marietta plötzlich bebte, als die Katapulte einen Schauer von Steinen auf das Patrouillenboot schleuderten. Einige fielen ins Wasser und ließen die Gischt hoch aufspritzen, doch eine genügend große Menge prasselte auf die Decks der Galeone herab und stiftete eine heillose Verwirrung unter den Rudersklaven. Das vorher so regelmäßige Schlagen der Ruder wirkte plötzlich wie das verzweifelte Krabbeln eines Tausendfüßlers. Der Abstand zwischen der Galeone und der Viviace vergrößerte sich ständig. Die Marietta schien allerdings auch nicht vorzuhaben, sich einem offenen Kampf zu stellen. Nachdem sie ihren Überraschungsangriff ausgeführt hatte, setzte sie jeden Fetzen Segel und floh. Als die Ruder des Chalcedaners wieder regelmäßig schlugen, nahm das Patrouillenboot die Verfolgung auf. Wintrow verrenkte sich beinahe den Hals, aber der Steuermann brachte die Viviace hinter der Küste einer Insel außer Sicht, was Wintrow den Blick versperrte. Plötzlich verstand er den Sinn dieses Manövers. Die Viviace sollte schnell außer Sicht gebracht werden, während die Marietta die Verfolger weit weglockte.
Er kletterte hinunter und sprang behände auf Deck. »Na, das war wirklich interessant«, meinte er, aber Viviace war abgelenkt.
»Kennit«, erwiderte sie.
»Was ist mit ihm?«
»Junge!« Die scharfe Stimme der Frau ertönte hinter ihm. Er drehte sich um und sah Etta. »Der Kapitän will dich sehen. Sofort.« Sie sprach gebieterisch, aber sie sah ihn dabei nicht an. Ihr Blick war starr auf die Galionsfigur gerichtet. Viviaces Miene wurde plötzlich teilnahmslos.
»Wintrow; Rühr dich nicht«, befahl sie sanft.
Mit erhobener Stimme wandte sie sich an die Piratin. »Er heißt Wintrow Vestrit«, erklärte sie mit hoheitsvoller Herablassung. »Du wirst ihn nicht mehr ›Junge‹ nennen.« Viviace richtete ihren Blick auf Wintrow, lächelte ihm zu und erklärte höflich: »Ich höre, dass Kapitän Kennit nach dir verlangt. Würdest du bitte zu ihm gehen, Wintrow?«
»Sofort«, versprach er und gehorchte. Als er die beiden Frauen allein ließ, dachte er darüber nach, was Viviace hier wohl hatte demonstrieren wollen. Er war nicht so dumm anzunehmen, dass sie ihn vor Etta hatte verteidigen wollen. O nein. Bei diesem kleinen Scharmützel zwischen den beiden Frauen war es um Vorherrschaft gegangen. Und auf ihre Art hatte Viviace deutlich gemacht, dass Wintrow ihr gehörte und sie erwartete, dass Etta das respektierte. Gleichzeitig hatte es ihr Spaß gemacht, der anderen Frau zu enthüllen, dass das Schiff sehr wohl alles mitbekam, was im Salon des Kapitäns vor sich ging. Ettas ärgerlicher Miene nach zu urteilen, schien sie nicht sehr erfreut darüber zu sein.
Er sah über die Schulter zu ihnen zurück. Etta hatte sich nicht von der Stelle gerührt. Er hörte keine Stimmen, aber vielleicht sprachen sie ja einfach nur leise. Erneut faszinierte ihn die außergewöhnliche Erscheinung der Piratin. Etta war sehr groß und hatte dabei kein Gramm Fett zu viel auf den Rippen oder an ihren langen Gliedmaßen. Sie trug ihre Seidenbluse und die Brokatweste und -hose so beiläufig, als bestünde die Kleidung aus gewöhnlicher Baumwolle. Ihr glattes schwarzes Haar hatte sie kurz geschnitten. Es reichte
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