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Zauberschiffe 03 - Der Blinde Krieger

Titel: Zauberschiffe 03 - Der Blinde Krieger Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robin Hobb
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nicht einmal bis zu ihren Schultern. Ihre Formen suggerierten weder durch Rundheit noch Weichheit etwas Feminines, und ihre dunklen Augen glühten gefährlich und wild. Nach dem, wie Wintrow sie erlebt hatte, schien sie sehr jähzornig und so erbarmungslos wie eine Katze zu sein. So etwas wie Zärtlichkeit hatte er an dieser Frau bisher noch nicht wahrgenommen. Trotzdem verbanden sich alle diese Widersprüche und verliehen ihr eine überwältigende Weiblichkeit. Noch nie zuvor hatte Wintrow so viel Macht bei einer Frau gespürt, und ihm kam unwillkürlich die Frage in den Sinn, ob Viviace wohl dieses Kräftemessen gegen Etta gewinnen konnte.
    Kennit rief tatsächlich seinen Namen, wenn auch nicht laut, sondern eher keuchend und eindringlich. Wintrow klopfte nicht erst an, sondern betrat die Kajüte des Kapitäns ohne Umschweife. Der große, schlanke Pirat lag ausgestreckt auf der breiten Koje, aber seine Haltung war alles andere als friedlich. Er hielt das Linnen so fest umklammert, dass die Knöchel weiß hervortraten, als wäre er eine Frau, die in den Wehen liegt. Sein Kopf ruhte auf den zerwühlten Kissen und auf seinem nackten Oberkörper traten deutlich die angespannten Muskeln hervor. Er schnappte mit offenem Mund nach Luft, und seine Brust hob und senkte sich angestrengt. Sein dunkles Haar und sein offenes Hemd waren schweißnass. Die ganze Kajüte stank danach.
    »Wintrow!«, stieß Kennit hervor, als der Junge neben die Koje trat.
    »Ich bin hier.« Instinktiv umfasste er die schwielige Hand des Kapitäns mit der seinen. Kennits Griff war jedoch so fest, dass der Junge beinahe aufgeschrieen hätte. Stattdessen erwiderte er den Griff und drückte fest zwischen den Daumen und die Finger des Piraten. Mit der anderen Hand umfasste er Kennits Handgelenk und versuchte, seinen Puls zu ertasten. Aber das Armband des Mannes störte dabei. Wintrow begnügte sich damit, mit der Hand über den Unterarm des Kapitäns zu streichen. Rhythmisch verstärkte und lockerte er den Griff dabei in einem langsamen, beruhigenden Muster, während er gleichzeitig den Druck zwischen Kennits Fingern verstärkte. Das sollte die Schmerzen lindern. Er wagte es sogar, sich auf den Rand des Bettes zu setzen, und beugte sich über Kennit, damit er den Blick des Gepeinigten erwidern konnte. »Beobachtet mich«, forderte er ihn auf. »Atmet mit mir zusammen. Etwa so.« Wintrow holte tief Atem, hielt ihn einen Moment an und ließ ihn dann langsam wieder entweichen. Kennit unternahm einen schwachen Versuch, es ihm nachzumachen. Sein Atem war zwar immer noch zu flach und zu schnell, aber Wintrow nickte ihm aufmunternd zu. »So ist es richtig. Beherrscht Euren Körper. Schmerz ist nur ein Werkzeug Eures Körpers. Ihr könnt ihn beherrschen.«
    Er blickte den Piraten unverwandt an, während er mit jedem Atemzug versuchte, beruhigende Zuversicht und Glauben auszustrahlen. Wintrow suchte den Mittelpunkt seines Körpers und fand eine Stelle, an der er sowohl das Herz als auch beide Lungen berührte. Er verlagerte den Brennpunkt seines Blickes und zog Kennits Blick immer tiefer in sich hinein, um so seine Ruhe auf den Mann zu übertragen. Er versuchte, mit seinem Blick die Schmerzen aus Kennits Körper zu ziehen und sie in der Luft zwischen ihnen beiden sich verflüchtigen zu lassen.
    Diese einfachen Übungen erinnerten ihn wieder an das Kloster. Er versuchte, Frieden aus diesen Erinnerungen zu schöpfen, um die Kraft daraus dem hinzuzufügen, was er zu erreichen suchte. Stattdessen kam er sich plötzlich wie ein Scharlatan vor. Was tat er hier? Ahmte er nach, was er den alten Sa'Parte mit seinen Patienten hatte tun sehen, die unter Schmerzen litten? Versuchte er, Kennit weiszumachen, dass er wirklich ein Priester-Heiler war? Er verfügte nicht einmal über die vollständige Ausbildung, die selbst eine solch simple Schmerzlinderung erforderte, ganz zu schweigen von dem Wissen, ein krankes Bein zu amputieren. Wintrow redete sich ein, er täte einfach nur alles, was er konnte, um Kennit zu helfen. Aber stimmte das denn? Vielleicht versuchte er ja nur, seine eigene Haut zu retten.
    Kennits Griff lockerte sich allmählich, und auch die Anspannung seines Halses ließ nach. Sein Kopf rollte auf den feuchten Kissen hin und her, und sein Atem wurde langsamer. Jetzt glich er den angestrengten Atemzügen eines Mannes, der gegen seine Erschöpfung kämpft. Wintrow versuchte, die Hand des Piraten in seiner zu behalten. Sa'Parte hatte oft von einer Technik

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