Zauberschiffe 03 - Der Blinde Krieger
konnte sich Viviace seiner Überzeugung anschließen. Es gab keine letztendliche Schwärze, die man zu fürchten hatte, kein plötzliches Ende des Seins. Wechsel und Mutationen, ja, aber diese Dinge kamen mit jedem Atemzug vor. Veränderungen waren die Essenz des Lebens, man sollte keine Angst davor haben.
Sie öffnete sich für Kennit und teilte diese Einsicht mit ihm. Das Leben ging weiter. Der Verlust eines Beines war kein Ende, sondern nur eine Kurskorrektur. Solange noch Leben im Herzen eines Mannes pulsierte, solange existierten alle Möglichkeiten. Kennit musste sich nicht fürchten. Er konnte sich entspannen. Es würde alles gut werden. Er sollte jetzt ruhen. Einfach nur ruhen. Sie fühlte, wie sich seine Dankbarkeit warm ausbreitete. Die gespannten Muskeln seines Gesichts und seines Rückens wurden schlaff. Kennit holte tief Luft und ließ den Atem langsam heraus.
Er atmete nicht mehr ein.
5. Das Zauberschiff Ophelia
Altheas Wache war zu Ende. Jetzt hatte sie Zeit für sich. Sie war zwar müde, aber es war ein angenehmes Gefühl. Es war ein beinahe lauer Frühlingsnachmittag gewesen, eine Seltenheit für diese Jahreszeit, und Althea hatte ihn genossen. Die Ophelia war den ganzen Tag in einer geradezu überschwänglichen Stimmung gewesen. Das Lebensschiff hatte den Seeleuten ihre Arbeit leicht gemacht und war entschlossen nordwärts gesegelt. Sie war eine schwerfällige alte Kogge, die zudem auch noch, schwer beladen mit den Waren einer erfolgreichen Handelsreise, tief im Wasser lag. Der frühe Abendwind war kaum mehr als eine Brise, aber die Segel der Ophelia erwischten jedes noch so kleine Lüftchen. Sie glitt mühelos durch die Wellen. Althea lehnte sich an die Bugreling und betrachtete den Sonnenuntergang an der Backbordseite. In wenigen Tagen würden sie zu Hause sein.
»Gemischte Gefühle?«, fragte Ophelia sie mit einem kehligen Kichern. Die dralle Galionsfigur warf Althea einen wissenden Blick über ihre entblößte Schulter zu.
»Du weißt selbst, wie Recht du hast«, gab Althea zu. »Und zwar bei allem. Nichts in meinem Leben macht mehr Sinn.« Sie zählte die Gründe an den Fingern ab. »Hier bin ich also und diene als Erster Maat auf einem Zauberhandelsschiff. Das ist so ziemlich die höchste Position, die ein Seemann hoffen kann zu erreichen. Kapitän Tenira hat mir ein Schiffszeugnis versprochen. Es ist das, was ich brauche, um zu beweisen, dass ich ein fähiger Seemann bin. Mit diesem Zeugnis kann ich nach Hause gehen und Kyle zwingen, sein Wort zu halten und mir mein Schiff zurückzugeben. Und trotzdem komme ich mir irgendwie schuldig vor. Du hast es mir so leicht gemacht. Ich habe als ›Schiffsjunge‹ auf der Reaper dreimal so hart gearbeitet. Es kommt mir einfach nicht richtig vor.«
»Ich kann dir deine Arbeit gern schwerer machen, wenn du das möchtest«, antwortete Ophelia spöttisch. »Ich könnte Schlagseite bekommen oder undicht werden oder…«
»Nein, das würdest du nicht tun«, erwiderte Althea überzeugt. »Dafür bist du viel zu stolz darauf, wie gut du segelst. Nein. Außerdem möchte ich meine Aufgaben auch gar nicht härter haben. Und ich bereue auch meine Zeit auf der Reaper nicht. Zumindest habe ich mir dort bewiesen, dass ich zäh bin. Durch den Dienst an Bord dieses Kahns bin ich ein besserer Seemann geworden und habe eine Seite der Seefahrt kennen gelernt, von der ich bis dahin noch nie etwas gesehen hatte. Es war keine Zeitverschwendung. Aber es war Zeit, die ich von der Viviace getrennt war. Zeit, die für immer verloren ist…« Altheas Stimme brach.
»Ach, Schätzchen, das ist ja so tragisch!« Ophelias Stimme klang äußerst besorgt. Einen Moment später jedoch fuhr sie sarkastisch fort: »Es könnte nur dann noch schlimmer werden, wenn du noch mehr Zeit daran verschwendest, deswegen zu trauern, Althea. Das sieht dir nicht ähnlich. Schau nach vorn, nicht zurück. Korrigiere deinen Kurs, und mach weiter. Du kannst die Reise von gestern nicht ungeschehen machen.«
»Das weiß ich«, erwiderte Althea und lachte bedauernd. »Ich weiß, dass das, was ich jetzt tue, nicht das Richtige ist. Es kommt mir nur so merkwürdig vor, dass es so einfach und angenehm ist. Ein schönes Schiff, eine schnelle Mannschaft, ein guter Kapitän…«
»Ein sehr gut aussehender Erster Maat«, warf Ophelia ein.
»Das ist er«, gab Althea bereitwillig zu. »Und ich weiß auch zu schätzen, was Grag alles für mich getan hat. Er sagt zwar, dass er das Lesen und die Entspannung zu
Weitere Kostenlose Bücher