Zauberschiffe 03 - Der Blinde Krieger
das Bingtown umgab. Vom Hafen dorthin war es nur eine kurze Kutschfahrt oder ein angemessener Spaziergang an einem schönen Tag. Unterwegs konnte man Blicke auf andere Händlerhäuser werfen, die in reichlichem Abstand zur Straße lagen. Sie kam an blühenden Hecken und Auffahrten vorbei, die von Bäumen gesäumt waren. Über der Steinmauer der Oswells rankte ein dichter Mantel aus Efeu. Am Tor lugten bereits die ersten Blüten der gelben Osterglocken hervor. Der Frühlingstag war erfüllt vom Zwitschern der Vögel und von den Düften der ersten Blumen.
Noch nie zuvor war Althea der Weg so lang vorgekommen.
Sie fühlte sich, als ginge es zu ihrer Hinrichtung.
Sie trug immer noch ihre Verkleidung als Schiffsjunge. Es war ihnen allen klüger vorgekommen, dass sie in ihrer Verkleidung blieb, als sie den Hafen verließ. Wie ihre Mutter und ihre Schwester wohl darauf reagieren würden? Kyle war jedenfalls nicht zu Hause. Die Erleichterung darüber glich beinahe ihre Enttäuschung aus, dass die Viviace nicht im Hafen gelegen hatte. Wenigstens musste sie sich nicht auch noch mit seiner Abneigung auseinander setzen. Es war beinahe ein Jahr her, seit sie sich mit ihrem Schwager zerstritten und dann ihr Geburtshaus verlassen hatte. Seitdem hatte sie so viel gelernt, dass es ihr beinahe wie eine Dekade vorkam. Sie wollte, dass ihre Familie begriff, wie sehr sie gewachsen war. Doch stattdessen, so fürchtete sie, würden sie wohl nur ihre Kleidung und ihren geölten Zopf sehen und es als eine kindische, trotzige Maskerade betrachten. Ihre Mutter hatte stets behauptet, dass sie dickköpfig war. Und ihre Schwester Keffria hatte jahrelang geglaubt, dass sie ihren Familiennamen einfach nur für ihr eigenes Vergnügen entehren würde. Wie konnte sie nun zu ihnen zurückkehren, so gekleidet, und ihnen klarmachen, dass sie reif genug und auch würdig war, um das Lebensschiff der Familie zu führen? Wie würden sie ihre Rückkehr aufnehmen? Mit Ärger oder kalter Verachtung?
Sie schüttelte wütend den Kopf, um solche Gedanken zu vertreiben, und bog in die lange Auffahrt zu ihrem Heim ein. Verärgert bemerkte sie, dass die Rhododendren am Tor nicht zurückgeschnitten worden waren. Die kahlen Äste des letzten Jahres vermischten sich jetzt mit den schwellenden Blüten des Frühlings. Plötzlich wurde sie unruhig. Col, der Gärtner, hatte sich immer besonders um diese Büsche gekümmert. War ihm etwas zugestoßen?
Je weiter sie die Auffahrt hinaufging, desto deutlicher sah sie die Spuren der Vernachlässigung im Garten. Die Kräuterrabatten blühten und drohten ihre Einfassung zu sprengen. Helle grüne Blätter sprossen an Rosenbüschen, die immer noch die winterschwarzen Stiele des letztjährigen Wuchses trugen. Eine Glyzinie war aus ihrem Spalier gefallen und öffnete jetzt mutig ihre Blätter am Boden. Die Winterwinde hatten die Herbstblätter wie zufällig weggeweht, und abgebrochene Zweige bedeckten immer noch den Boden.
Aufgrund des vernachlässigten Gartens erwartete sie beinahe, dass das Haus verlassen war. Doch stattdessen waren die Fenster weit geöffnet, um die Frühlingsluft hereinzulassen, und fröhliche Harfen- und Flötenmusik begrüßte sie. Einige Kutschen vor der Haustür sagten ihr, dass anscheinend eine Gesellschaft stattfand. Es musste eine fröhliche Gesellschaft sein, nach dem Lachen zu urteilen, das sich plötzlich mit der Musik vermischte. Althea ging zum Hintereingang. Ihr Staunen wurde bei jedem Schritt, den sie tat, größer. Ihre Familie hatte seit der Erkrankung ihres Vaters keine Gesellschaft mehr gegeben. Bedeutete diese Feier etwa, dass ihre Mutter ihre Trauerzeit bereits beendet hatte? Das sähe ihr nicht ähnlich. Genauso wenig konnte Althea sich vorstellen, dass ihre Mutter freiwillig die Gärten vernachlässigte, während sie ihr Geld für Gesellschaften ausgab. Es passte einfach nicht zusammen. Eine Vorahnung beschlich sie.
Die Küchentür stand offen, und der verlockende Duft von frisch gebackenem Brot und würzigem Fleisch drang heraus und vermischte sich mit dem Duft des Frühlingstages. Altheas Magen knurrte anerkennend: Hefebrot, frisches Fleisch und Gemüse. Irgendwie war sie froh, zu Hause zu sein, ganz gleich, welcher Empfang sie erwartete. Sie betrat die Küche und sah sich um.
Sie kannte die Frau, die auf dem Küchentisch Teig ausrollte, genauso wenig wie den Jungen, der den Bratspieß über dem Kochfeuer drehte. Das war jedoch nicht ungewöhnlich. Im Haushalt der Vestrits kamen und
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