Zauberschiffe 06 - Herrscher der drei Reiche
Akzeptiere es!« Dann gab er Wintrow einen freundschaftlichen Knuff. »Gefühle enden irgendwann, mein Junge. Blitz ist nicht mehr diejenige, die sie einmal für dich war. Warum gehst du nicht zu Etta? Sie scheint dich aufheitern zu können.«
Während Kennit Wintrow nachsah, wie er über das Hauptdeck ging, meldete sich das Amulett. Es flüsterte nicht und versuchte auch nicht, sich vor dem Schiff zu verstecken.
»Gefühle enden irgendwann«, höhnte es. »Blitz ist nicht mehr diejenige, die sie war. O ja, red dir das ein, mein liebes Herz, und du wirst wieder in der Lage sein, mit dem Paragon zurechtzukommen.« Plötzlich sank seine Stimme zu einem vertraulichen Flüstern herab. »Du hast immer geahnt, dass du dich ihm irgendwann wieder würdest stellen müssen, hab ich Recht? Als dich zum ersten Mal das Gerücht von einem geblendeten Lebensschiff erreichte, das nach Bingtown zurückgekehrt war, wusstest du, dass sich eure Pfade irgendwann wieder kreuzen würden.«
»Halt den Mund!« Kennits Wut war von Furcht durchdrungen. Seine Nackenhaare richteten sich auf.
»Ich kenne Paragon «, sagte das Schiff plötzlich. »Das heißt, ich trage Altheas Erinnerungen an ihn in mir. Und die ihres Vaters. Ephron Vestrit mochte das Schiff nicht. Er wollte nicht, dass seine Tochter in seiner Nähe spielte. Paragon ist wahnsinnig.
»Oh, ziemlich wahnsinnig«, stimmte das Amulett liebenswürdig zu. »Aber wer wäre bei all den Erinnerungen nicht verrückt geworden, die in seine Planken gesickert sind? Es ist ein Wunder, dass er überhaupt sprechen kann. Bist du nicht auch dieser Meinung, Kennit? Es reichte vollkommen, einen Jungen zu verprügeln, hab ich Recht? Man brauchte ihm nicht die Zunge herauszuschneiden, weil er drei Jahre lang so gut wie kein Wort sagte. Oh, Igrot glaubte, das seine Geheimnisse sicher wären. Alle seine Geheimnisse. Aber Geheimnisse haben es so an sich, dass sie durchsickern.«
»Schweig still!« Kennits Stimme war ein wütendes, heiseres Flüstern.
»Still«, hauchte das geschnitzte Hexenholz an seinem Handgelenk. »So still wie ein geblendetes Schiff, das kieloben im Meer treibt. So still wie ein Schrei unter Wasser.«
2. Strategien
Der Nebel und die Feuchtigkeit waren erbarmungslos. Selbst an Tagen, an denen es nicht regnete, durchdrang die hohe Luftfeuchtigkeit einfach alles. Die Kleidung, die in der Kombüse zum Trocknen hing, wurde nur feuchtwarm. Die Kleidung in Altheas Seesack war genauso klamm wie die Wolldecke in ihrer Koje. Alles roch schimmelig und muffig.
Sie erwartete beinahe, dass sie sich morgens Moos aus den Haaren kämmen musste. Wenigstens hatten sie jetzt alle etwas mehr Platz. Sie hatte Lavoys Habseligkeiten aus der Kabine des Ersten Maats geschafft und räumte jetzt ihre eigenen Sachen ein. Ihre Beförderung war eine ganz normale Prozedur und stand ihr rechtmäßig zu. Brashen hatte Haff zum Zweiten Maat ernannt. Der schien über seine neue Position sehr erfreut zu sein. Ein noch besseres Zeichen war, dass die Mannschaft seine Ernennung ebenfalls im Großen und Ganzen billigte.
»Lassen denn der Regen und der Nebel auf dieser verdammten Insel niemals nach?« Amber betrat ihre kleine Kabine. Ihr Haar und ihre Wimpern waren tropfnass, und selbst von den Ärmeln ihres Hemdes tropfte es.
»Im Sommer schon«, erklärte Althea. »Aber im Augenblick ist das Wetter hier eben so. Es sei denn, der Regen ist so stark, dass er die Luft reinigt.«
»Das wäre beinahe besser als dieses ständige Tröpfeln. Ich war oben im Ausguck und wollte mich umsehen. Genauso gut hätte ich den Kopf in meinen Seesack stecken können. Wie können sich die Piraten an solchen Tagen wie heute überhaupt bewegen? Man kann sich weder nach der Sonne noch nach den Sternen richten.«
»Hoffen wir, dass sie nicht auslaufen. Es wäre nicht gut, wenn uns ein Pirat in diesem Nebel verfolgen würde. Stell dir einfach vor, dass die Suppe uns vor feindlichen Blicken verbirgt.«
»Aber sie versteckt die Piraten auch vor uns. Wie sollen wir herausfinden, ob Kennit nach Divvytown zurückkehrt, wenn wir nicht einmal diese Insel sehen können?«
Sie ankerten seit einem Tag und einer Nacht in einer kleinen, geschützten Bucht. Im Gegensatz zu den anderen kannte Althea den Grund. Sie warteten hier nicht auf Kennit, sondern versuchten, eine Art Plan zu schmieden. Letzte Nacht hatten Brashen und sie in seiner Koje zusammengelegen und ihre Möglichkeiten durchgespielt. Brashen war nicht sonderlich optimistisch gewesen.
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