Zauberschiffe 06 - Herrscher der drei Reiche
Familie gründen will. Menschen haben ja nicht so viel Zeit, weißt du.«
»Deshalb müssen wir auch so viel Leben in unsere kurze Zeit pfropfen.« Diese Bemerkung kam von Jek. Ihr Parfüm wehte durch die Frühlingsnacht. Trotz der Kälte ging sie barfuß. Sie hockte sich kühn auf die Reling der Viviace. »Guten Abend, die Damen«, begrüßte sie die beiden Galionsfiguren. Sie holte tief Luft, seufzte zufrieden und ließ ihre Füße pendeln.
»Du warst tanzen?«, schwärmte Ophelia. »Erzähl uns davon. Hast du den Palast das Satrapen gesehen?«
»Von außen. Er war hell erleuchtet, mit goldenem Licht und Musik, die aus allen Türen und Fenstern drang. Die Straßen waren voller schöner Kutschen, und eine Menge Menschen sind hineingegangen. Jeder war so vornehm gekleidet wie ein König. Ich fand den Innenhof ganz gut. Die Musik war fröhlich, die Männer sahen gut aus, und es wurde lebhaft getanzt. Sie haben ganze Schweine am Spieß gebraten und ein Fass Bier nach dem anderen aufgemacht. Ich habe noch nirgendwo ein tolleres Fest erlebt. Aber trotzdem bin ich froh, dass wir morgen absegeln. Jamaillia-Stadt ist eine schmutzige Stadt, trotz all der feinen Häuser. Ich bin froh, wenn wir wieder auf dem Wasser sind, und noch besser gefällt es mir, nach Divvytown zu segeln Ich wusste, dass das mein Heimathafen war, als ich ihn das erste Mal gesehen habe.«
»Die Piratenstadt? Sa steh uns bei! Wartet denn da jemand auf dich, Schätzchen?«, erkundigte sich Ophelia.
Jek lachte laut. »He, sie warten alle auf mich. Sie wissen es nur noch nicht.«
Ophelia lachte entzückt. Dann bemerkte sie Viviaces Schweigen. »Warum so nachdenklich, Liebes? Vermisst du unseren Wintrow? Er kommt schon noch früh genug wieder.«
Viviace erwachte aus ihrer Träumerei. »Nein, nicht Wintrow. Wie du schon sagst, er kommt schon noch früh genug zurück. Manchmal ist es eine Freude, nur seinen eigenen Gedanken nachzuhängen. Ich habe den Himmel betrachtet und mich erinnert. Je höher man fliegt, desto mehr Sterne sieht man. Da oben befinden sich Sterne, die ich nie wieder sehen werde. Als mir der Himmel noch gehörte, haben sie mich nicht interessiert, aber jetzt vermisse ich sie.«
»Du bist noch jung. Du wirst eine Menge solcher Dinge in deinem Leben finden«, antwortete das alte Lebensschiff beruhigend. »Es ist sinnlos, darüber nachzugrübeln.«
»Mein Leben«, sinnierte Viviace. »Mein Leben als Lebensschiff.« Sie betrachtete Ophelia mit einem Seufzer. »Ich beneide dich beinahe. Du erinnerst dich an nichts, also vermisst du auch nichts.«
»Ich erinnere mich an eine Menge, Liebes. Nur weil meine Erinnerungen Segel haben statt Schwingen, musst du sie nicht abwerten.« Sie schnüffelte. »Und mein Leben solltest du auch nicht verachten, möchte ich noch hinzufügen. Genauso wenig wie dein eigenes. Du könntest von meinem Grag eine Menge lernen. Wünsch dir nicht die Sterne, wenn um dich herum das weite Meer ist. Es ist auch eine Art Himmel, weißt du.«
»Mit genauso vielen Sternen«, bemerkte Jek. Sie hüpfte auf das Deck zurück und streckte sich, bis ihre Gelenke knackten.
»Gute Nacht, die Damen. Ich hau mich aufs Ohr. Für Matrosen fängt der Tag früh an.«
»Für Lebensschiffe auch. Träum süß, Schätzchen«, rief ihr Ophelia nach. Als Jek auf leisen Sohlen wegging, schüttelte das Lebensschiff den Kopf. »Merk dir meine Worte: Sie wird es bedauern, wenn sie nicht bald sesshaft wird.«
»Irgendwie bezweifle ich das«, erwiderte Viviace lächelnd.
Sie blickte zu den Lichtern der Stadt zurück. Im Palast des Satrapen bereiteten Wintrow, Etta, Reyn und Malta die Menschen auf die Rückkehr ihrer Spezies vor. Plötzlich war sie stolz auf sie. Erstaunlicherweise empfand sie dasselbe für sich selbst. Ihr Lächeln für Ophelia vertiefte sich. »Jek ist viel zu sehr damit beschäftigt zu leben, als dass sie Zeit mit Bedauern verschwenden würde. Genauso wie ich.«
22. Bingtown
»Gefährtin Serilla wartet im Salon.« Ronica ging in den Raum und sah sich neugierig um.
»Bist du sicher?« Keffria begriff die Albernheit ihrer Frage, kaum dass sie die Worte ausgesprochen hatte. Sie kletterte von dem Stuhl, auf dem sie gestanden hatte, und warf einen kritischen Blick über ihre Schulter. »Meine Güte«, murmelte sie leise. Die alten Vorhänge aus Seldens Zimmer waren gefärbt, gewendet und geplättet worden. Trotzdem sahen sie immer noch so aus wie die alten Vorhänge aus Seldens Zimmer. Ganz gleich, was sie mit ihrem
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