Zauberschiffe 06 - Herrscher der drei Reiche
Vögel zwitscherten versteckt im Blätterwald, und einige Pflanzen, deren Lianen die gigantischen Bäume umschlangen, zeigten fette rote Blüten. Eine große Säule tanzender Insekten fing das Sonnenlicht in ihren transparenten Flügeln ein. Althea verzog das Gesicht. »Ich schwöre, dass diese Viecher die Nacht in unserer Kabine verbracht haben.«
»Mindestens ein Plagegeist war in meiner«, widersprach Amber. »Es ist ihm gelungen, fast die ganze Nacht um meine Ohren herumzusummen.«
»Ich bin froh, dass wir bald wieder Salzwasser unter dem Kiel haben«, antwortete Althea. »Wie siehst du das, Paragon?«
»Das kommt schon noch früh genug«, antwortete er abgelenkt.
Althea sah Amber fragend an. Die Handwerkerin zuckte mit den Schultern. In den beiden letzten Tagen war das Schiff irgendwie in sich gekehrt gewesen. Althea war gern bereit, Paragon so viel Raum und Zeit zu geben, wie er brauchte.
Diese um Jahrzehnte verspätete Heimkehr musste für ihn eine merkwürdige und schwierige Erfahrung sein. Sie war zwar weder eine Schlange noch ein Drache, aber während sie die Schlangen nach Norden führten, hatten die täglichen Verluste auch Althea bestürzt. Dass die Schlangen ihre Toten fraßen, entsetzte sie, ganz gleich, wie pragmatisch das auch sein mochte, was Essensverwertung und vererbte Erinnerungen betraf.
Tintaglia hatte sie vor chalcedeanischen Schiffen beschützt.
Sie waren nur zweimal direkt angegriffen worden. Es gab ein kurzes Gefecht, das allerdings schnell zu Ende ging, als Tintaglia zurückkehrte und das fremde Schiff vertrieb. Bei dem zweiten Kampf war Die, die sich erinnert, aus den Tiefen aufgestiegen und hatte die feindliche Galeone mit ihrem Gift besprüht. Ihr Tod hat Paragon am meisten zugesetzt, dachte Althea. Die verkrüppelte Schlange war immer schwächer geworden, aber sie hatte ihre Wanderung tapfer fortgesetzt. Im Gegensatz zu vielen anderen Schlangen hatte sie sogar die Mündung des Regenwildflusses erreicht. Aber die Reise flussaufwärts, gegen die starke Strömung, war schließlich doch zu viel für sie gewesen. Sie hatten sie eines Morgens gefunden, leblos um Paragons Ankerkette geschlungen.
Viele waren in den ätzenden Fluten des Flusses umgekommen. Erschöpft und zerschlagen, wie sie waren, wurden ihre kleinen Verletzungen durch das reißende Wasser schnell zu klaffenden Wunden. Weder das Schiff noch Tintaglia konnten den Schlangen diese lange, anstrengende Strecke verkürzen. Hundertneunundzwanzig Seeschlangen hatten mit ihnen die Mündung des Flusses erreicht. Als das Knäuel an die Schleusenstufen kam, welche die Regenwildmenschen für sie gebaut hatten, waren nur noch dreiundneunzig übrig. Die groben, miteinander verbundenen Schächte aus Baumstämmen teilten die flache Strömung des Flusses und vertieften ihn gerade genug, dass die Schlangen sich flussaufwärts wälzen konnten.
Die Fähigkeiten der Regenwildingenieure und die harte Arbeit von Händlern und Tätowierten hatten einen künstlichen Kanal geschaffen, der zu den uralten Schlammbänken führte.
Tintaglia hatte das Ausheben des silbrigen Schlamms beaufsichtigt. Das Zeug war beinahe so zäh wie Lehm. Dann wurde noch eine Schleuse aus Balken errichtet, und Arbeiter hatten lange Stunden damit verbracht, die harte Masse mit Flusswasser zu mischen, bis Tintaglia den schlammigen Brei für gut befand. Als die erschöpften Schlangen sich endlich auf das niedrige Ufer des Flusses schleppten, hatten Arbeiter Fässer mit dem Schlamm herantransportiert und ihn über die Schlangen gekippt.
Es quälte Paragon, dass er nicht zusehen konnte, wie die Schlangen sich verpuppten. Ein großes Schiff wie er konnte nicht nah genug durch das flache Wasser herankommen.
Althea war an seiner Stelle hingegangen. Und so fiel ihr die Aufgabe zu, ihm zu berichten, dass nur neunundsiebzig Schlangen es geschafft hatten, ihren Kokon zu vervollständigen. Die anderen waren gestorben, weil ihre Körper zu ausgelaugt waren, um die besonderen Sekrete abzusondern, die den Schlamm zu langen Fäden banden, in die sie sich einspannen. Tintaglia hatte ihre Trauer über jeden einzelnen Tod laut hinausgebrüllt und dann die Toten als Nahrung unter den überlebenden Schlangen verteilt. Die Drachenkönigin sah kaum besser aus als die Schlangen. Sie weigerte sich, Zeit mit der Jagd zu verschwenden, während die Verpuppungsphase weiterging. Nach wenigen Tagen hing ihre glitzernde Haut in Lappen von ihrem dünnen Körper, obwohl ihr die mitfühlenden
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