Zauberschiffe 06 - Herrscher der drei Reiche
nicht. Es irritierte ihn ebenfalls, dass diese Kreatur die beiden Überlebenden im Wasser nicht fraß. Es hätte ihm den ganzen Ärger erspart. Aber nein, das Biest wartete im Wasser und beobachtete sie nur neugierig. Warum gehorchte es dem Schiff nicht?
Er wandte den Blick ab und zwang sich dazu, das aktuelle Problem zu lösen. Blitz hatte angedeutet, dass sie das Verbrennen des Lebensschiffes nicht mit ansehen wollte.
Kennit blickte in den stürmischen Himmel hinauf. Es hätte ihm ebenfalls gut in den Kram gepasst, hier wegzukommen.
»Wollt Ihr das?«, drängte der Maat. Kennits Meinung über den Mann sank. Sorcor war zwar auch dumm gewesen, aber er besaß wenigstens genug Mut, um seine Meinung zu äußern.
Der Piratenkapitän blickte noch einmal nach oben. Der Paragon brannte mittlerweile lichterloh. Der Wind wehte den Rauch und den Gestank herüber. Es wurde Zeit aufzubrechen.
Er wollte aus der Nähe des Schiffes verschwinden. Nicht weil er damit rechnete, dass die Galionsfigur schrie, bevor sie verendete, sondern weil die reale Gefahr bestand, dass der Wind brennende Leinwandfetzen von Paragons Segeln in die Takelage der Viviace trug. »Eine Schande, dass wir so wenig Zeit haben«, sagte er zu Jola, aber der Befehl, Segel zu setzen, erstarb in seiner Kehle.
Die blonde Frau hatte sich im Wasser zurückgelehnt und die Gesichtszüge des Jungen enthüllt, dessen Kopf sie gerade noch über die Wellen hielt. »Wintrow!«, rief Kennit ungläubig.
Durch welches Unglück war Wintrow ins Meer gestürzt, und wieso hatte sie ihn gerettet? »Holt sie sofort hoch!«, befahl er Jola. Noch während der Maat seinem Befehl gehorchte, hob eine Welle die beiden Schwimmer etwas höher. Es war nicht Wintrow. Es war nicht einmal ein Mann. Dennoch war Kennit von der verblüffenden Ähnlichkeit zwischen dem Jungen und der Frau im Wasser fasziniert. Er widerrief seinen Befehl nicht.
Und Jola schrie bereits danach, den beiden eine Leine zuzuwerfen.
»Du weißt, dass sie es sein muss«, flüsterte das Amulett an seinem Handgelenk. »Althea Vestrit. Wer sonst könnte ihm so ähnlich sehen? Blitz wird das nicht gefallen. Du hast deine Absichten erfüllt, aber nicht die ihren. Du holst ausgerechnet die eine Person an Bord, die du unbedingt hättest töten müssen.«
Kennit legte seine freie Hand über das Amulett und ignorierte die Grimassen des kleinen Gesichts. Mit wachsender Neugier sah er zu, wie das Seil hinuntergeworfen wurde. Die blonde Frau fing es auf, aber ihre Hände waren so taub vor Kälte, dass sie es nicht festhalten konnte. Ein Seemann musste sich über die Seite hinunterhangeln und zu ihnen ins kalte Wasser steigen. Er schlang hastig das Seil um sie und schnürte einen Knoten. »Zieh hoch!«, schrie er. Im nächsten Moment kamen sie alle nach oben, die beiden Frauen schlaff wie Seetang.
Kennit blieb stehen, bis sie an Deck lagen. Die Ähnlichkeit war frappierend. Er verschlang ihr Gesicht beinahe mit seinen Blicken. Es war eine Frau mit Wintrows Zügen. Eine Vestrit.
Ihm wurde klar, dass er sie anstarrte, und er bemerkte auch das verwirrte Schweigen der Männer, die sich um die an Deck liegenden Frauen versammelten. »Also, schafft sie hinunter! Muss ich selbst das Offensichtliche befehlen? Und Jola, wir nehmen Kurs auf Divvytown! Gib der Marietta Zeichen, uns zu folgen. Ein Sturm zieht auf. Ich will unterwegs sein, bevor er uns trifft.«
»Sir. Sollen wir auf Wintrow und Etta warten, bevor wir segeln?«
Kennit betrachtete die dunkelhaarige Frau, die hustete und sich rührte. »Nein«, erwiderte er abgelenkt. »Noch nicht. Sie sollen erst mal bleiben, wo sie sind.«
5. Familientreffen
Wintrow wischte sich den Regen ab und starrte geradeaus. »Ich verstehe das nicht«, wiederholte er ruhig. Er hatte geglaubt, dass er allein wäre, und erschrak, als Etta antwortete. Ihre leisen Schritte hatte er wegen des heftigen Prasselns des Regens auf dem Deck nicht gehört.
»Hör auf herumzurätseln, was passiert ist. Kennit wird alles erklären, wenn wir ihn wieder sehen.«
»Ich will einfach nur wissen, was passiert ist«, erwiderte Wintrow störrisch und starrte untröstlich auf den weit entfernten Punkt aus Flammen, der einmal der Paragon gewesen war. Er hatte das Gefecht mit angesehen, begriff aber immer noch nicht ganz, was eigentlich passiert war. Warum hatte der Paragon sowohl die Seeschlangen als auch die Viviace angegriffen? Das war dumm! Wie war das Feuer ausgebrochen, und warum hatte Kennit eine so wertvolle
Weitere Kostenlose Bücher