Zehn (German Edition)
erreichen!«
Miyu sprang auf, putzte sich schnell die Zähne, zog sich frische Jeans und ein T-Shirt über, griff ihre Handtasche und rief ein Taxi. Für die U-Bahn war keine Zeit mehr.
Im Taxi war der Traum noch ganz lebendig. Sie versuchte sich an Details zu erinnern. An das Gesicht des Mannes.
Im Café herrschte schon Betrieb. Die ersten Mittagsgäste kamen. Miyu stürzte in die Umkleidekabine. Es war nur noch das Polizistinnenkostüm übrig. Zum Glück passte es ihr. Sie trug kein Make-up, band ihr Haar zu einem strengen Knoten zusammen und betrachtete sich im Spiegel: Sie sah anders aus als sonst. Ungeschminkt, im eher schlichten Kostüm. Miyu mochte die Polizeiuniform eigentlich nicht besonders. Sie war ihr zu konservativ. Dunkelblaue Hosen, dunkelblaues Hemd mit Abnähern. Dazu einen Gummiknüppel am Gürtel. Aber ohne Make-up, mit dem strengen Haarknoten sah sie irgendwie echt aus, wie eine Polizistin.
Yumi, die Prinzessin, steckte den Kopf durch die Tür: »Bist du fertig? Die nächste Gruppe ist da!«
Die Polizistin empfing die Gruppe mit einem fröhlichen »Welcome home, masters!«. Fünf Herren im Anzug stellten ihre Aktenkoffer ab und verbeugten sich. Miyu führte sie zum Tisch und reichte Mittagsmenüs. »Wenn alle Politessen so hübsch wären, würde ich mich gerne verhaften lassen«, scherzte der Älteste. Miyu verbeugte sich lächelnd.
Dann eilte sie zum Tresen. Sie hatte noch keinen Blick in die Reservierungsliste werfen können.
Fast wäre sie mit dem jungen Mann zusammengestoßen.
»Oh, Verzeihung!« Er verbeugte sich tief. Sein langes Haar hing ihm wirr ins Gesicht. Er sah gehetzt aus. »Verzeihung, ich hatte verschlafen … ich bin zu spät!« Er trug nur Jeans und Sweatshirt, und Miyu musste lachen.
»Das war ich heute auch!« Dann besann sie sich: »Welcome home, master!«
Er schaute kurz irritiert und lachte dann. »Ach ja … danke. Ich bin hier mit meinem Bruder und seinen Arbeitskollegen verabredet. Herr Shimuzu.«
Miyu sah in der Reservierungsliste nach. Der junge Mann gehörte zu der Gruppe Anzugträger, die sie gerade an ihren Platz geführt hatte. Während sie in die Liste schaute, spürte sie, wie der Mann sie ruhig ansah. Er stand nah bei ihr, ein bisschen zu nah fast. Aber es störte sie nicht.
Er wurde mit großem Hallo begrüßt. Die Männer bestellten Sake und Kirin.
Akako und Yumi kümmerten sich um die Bestellungen. Akako trug heute ein »Gothic maid«-Kostüm. Ein schwarzes Rüschenkleid mit Petticoat, dazu ein schwarzes Schürzchen mit passender schwarzer Rüschenhaube. Yumi war in einen hellrosa Petticoat gehüllt. Darüber ein langes weißes Kleid, weiße Spitzenhandschuhe und ein Krönchen. Miyus Lieblingsoutfit, die Prinzessin.
Auf der Toilette betrachtete sie sich im Spiegel. Strich das dunkelblaue Hemd glatt und richtete das Barett. Sie sah trotz des konservativen Kostüms jünger aus als sonst. Ihre Wangen schimmerten rosig. Ihre Wimpern waren lang, und sie gefiel sich auch ohne Wimperntusche. Der Mann. Der Mann aus dem Traum. Er ging ihr nicht aus dem Kopf. Mittlerweile erinnerte sie sich nur noch daran, dass er angenehm gerochen hatte. An sein Gesicht erinnerte sie sich nicht. Ob es möglich war, heute Nacht zu dem Traum zurückzukehren?
Sie musste lächeln.
»Entschuldigung?« Der junge Mann mit den langen Haaren stand suchend an der Theke. Er verbeugte sich. »Verzeihung, dürfte ich kurz Ihr Telefon benutzen, bitte?« Sie zeigte ihm den Apparat.
Er wählte hektisch. Sie beobachtete ihn verstohlen. Er schien in Sorge. Er sprach nur kurz. Seine Stimme klang ruhig. Er schien jemanden zu beschwichtigen. »Mach dir keine Sorgen. Ich werde da sein. Alles wird gut.«
Miyu stand in Hörweite. Seine Stimme war sanft und tief. Die Worte waren für jemand anderen bestimmt. Dennoch hatten sie eine Wirkung auf Miyu.
Er beendete das Telefonat, und sie führte ihn an den Tisch zurück. Herr Shimuzu schien beschwipst. »Junge Dame, mein Bruder hier ist ein Kollege von Ihnen!« Die anderen Männer lachten laut. Miyu lächelte und sah zu Boden. Der junge Mann schien ebenfalls beschämt.
Reiko brachte eine neue Runde Sake. Miyu verbeugte sich schnell und ging zum Tresen zurück. Sie musste noch den Lieferanten anrufen. Sie suchte die Lieferliste. Am Tisch wurde oft gelacht. Es gab Scherze. Aber eben hatte sie sich entblößt gefühlt.
Dann klingelte ihr Handy. Es war Haruka. Sie wollte Miyu spontan
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