Zehn Tipps, das Morden zu beenden und mit dem Abwasch zu beginnen
unberührter Philadelphia-Frischkäse. Sie hat eine kleine Nase, deren nach oben weisende Spitze mich an ein Softeis erinnert. Ihre Augen sind eisblau wie Gatorade Frost, und die Lippen sind dick und sehen superweich aus, rötlich und glänzend, wie Erdbeer-Sorbet.
Puuuh. Mein Bauch kommt aus seinem Versteck und quengelt wie ein Kind, das etwas Süßes sieht. Mann. Sie ist sogar mehr als Tag 1. Sie ist gleich am Morgen von Tag 1.
»Nein, ich wohne nicht hier«, sagt sie schließlich mit einem genervten Seufzer. »Ich bin ihre Tochter. Ich habe meine Schlüssel verloren und komme nicht in meine Wohnung. Argh! Ich muss um zehn bei der Arbeit sein und kann unmöglich so da hin.«
Sie ist die Tochter des Predigers. Trotzdem spricht sie wie eine heidnische Rockerbraut. Ihr Englisch scheint direkt aus MTV zu kommen, und während sie redet, wackelt sie mit dem Kopf wie eine schwarze Rapper-Schlampe. Sie gehört zu der tätowierten, enthaarten Generation, die das ganze Jahr String-Tangas trägt, krallenlange Fingernägel hat und findet, dass der Bauch »die neuen Titten« sind. Ihrer ist von einem gepiercten Nabel gekrönt und entblößt sich stolz zwischen einer eng geschnittenen Bluse und topmodischen, schlecht gewaschenen Jeans. Warum kann die männliche Wampe nicht »der neue Bizeps« sein? Ihre schwarzen Schuhe laufen vorne spitz zu, und während sie redet, schneidet sie mit ihren langen Nägeln durch die Luft.
»Und die Schlüssel sollen hier sein?«, frage ich väterlich.
»Ja. Mama sagt, sie hat einen Ersatzschlüssel, doch ich kann das Scheißding nicht finden. Fuck!«
Jetzt hat sie nicht nur Scheiße gesagt, sondern auch noch das F-Wort. Das heilige Paar hat eine Schlampe gezeugt.
»Warum rufen Sie sie nicht an?«, frage ich.
»Ahm, sie ist ... sie zeichnen die Show auf. Ihr Handy ist auf lautlos.«
»Die Show?«
»Ja. Sie hat diese Show. Das wissen Sie doch.«
Der Fernsehruhm ihrer Mutter scheint ihr ziemlich peinlich zu sein. Mir tut das arme Mädchen leid, und ich sage: »Vielleicht kann ich Ihnen helfen, in Ihre Wohnung zu kommen.«
»Ohne Schlüssel? Mit einem Kreuz oder wie?«
»Das könnten wir zumindest versuchen. Ein Kreuz und ein schnelles Gebet«, sage ich und klinge wie ein echter Priester, vollkommen Friendly.
Jetzt habe ich Hochwürden richtig drauf. Sogar nackt kann ich den Mann im Talar geben. Sie sieht mich an, Verwunderung in ihren eiskalten Gatorade-Augen, während ich die Küche betrete und die Schubladen nach etwas durchsuche, das meinem Lieblingsmesser ähnelt, dem kleinen Schweizer Wunderwerk, das ich immer bei mir getragen habe, seit Kamerad Prizmić es mir auf seinem Sterbebett vererbt hatte, das kein wirkliches Bett war, sondern ein wackeliger Küchentisch in einem ausgebombten Haus im Totendorf, dem TDO. Auch das musste ich in New York zurücklassen. Bin Laden sei Dank.
Wenig später sitzen wir in ihrem Auto (einem in die Jahre gekommenen Skoda Fabia), ich trage wieder mein heiliges Outfit und frage sie nach ihrem Namen.
»Gunholder«, sagt sie und braust los, die breite, stille Straße hinunter.
6. LILIPUT-INSEL
Gunholder fährt über zwei mit niedrigen, hässlichen Gebäuden bestandene Hügel hinweg Richtung Reykjavik. Klingt wie Dubrovnik. Aber es ist eher so, wie nach Split reinzufahren, Schnellstraßen, Werbeplakate und ein Sportplatz hier und da. (Ich stelle fest, dass auf den Tribünen kaum mehr Platz ist als auf der Ersatzbank.) Wie meine Heimatstadt scheint auch diese Stadt eine gespaltene Persönlichkeit zu sein: eine historische Altstadt mit hysterischen Vororten drum herum.
Vom Kommunismus haben sie hier anscheinend auch was abbekommen: Plattenbauten säumen die Straße und erinnern mich an meine titolitäre Vergangenheit. Wir hatten mal in einem dieser grauen Monster in der Nähe des Hajduk-Stadions gelebt (von unserem Balkon konnte man sogar einen Teil des Spielfelds sehen), bevor wir in die Innenstadt gezogen sind, in ein Haus, das älter war als New York. Unser Auto mussten wir zurücklassen, weil in den engen Straßen in der Altstadt keine motorbetriebenen Fahrzeuge erlaubt waren, und mein Vater fuhr jeden Sonntag mit mir und meinem älteren Bruder Dario unseren guten alten Yugo besuchen, der immer noch auf seinem Parkplatz in unserem früheren hässlichen Wohnviertel stand.
Das Mädchen fährt eine Schnellstraße entlang, die so ähnlich heißt wie Ring Du Mir Die Braut. Die Isländer scheinen die Namen für Menschen und Orte auf fast indianische
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