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Zehntausend Augen

Zehntausend Augen

Titel: Zehntausend Augen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Klaus Seibel
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Berlin. Genauer: auf die Berliner Polizei. Noch genauer: auf sie selbst, Kriminalhauptkommissarin Ellen Faber. Und das, wo sie am liebsten aus dem Hintergrund heraus agierte und bei Auftritten in der Öffentlichkeit anderen gerne den Vortritt ließ.
    Überhaupt wirkte die Presse wie aufgeputscht, als wäre die Internetübertragung ein Dopingmittel. Meistens mussten sich die Reporter mit mageren Informationen zufriedengeben, die sie sich mühselig zusammensuchten. Jetzt bekamen sie alles auf dem Silbertablett präsentiert, live in Bild und Ton. Kein Wunder, dass sie sich mit dieser unglaublichen Begeisterung auf den Fall stürzten. Es war wie eine Lawine, die, einmal losgetreten, alles andere unter sich begrub. Die wenigen kritischen Stimmen, die Verständnis dafür zeigten, dass die Polizei versuchte, die Öffentlichkeit herauszuhalten, musste Ellen suchen. So konnte es nicht weitergehen. Es ging schließlich um eine äußerst ernst zu nehmende Bedrohung. Das schien bei einigen in den Hintergrund zu treten. Ellen beschloss, die Lawine zu stoppen.
    Auf dem Weg in die Einsatzzentrale stieß Ellen fast mit Khalid zusammen. Der leitende Administrator sah noch blasser aus als sonst.
    »Khalid, was ist los?«, fragte Ellen ihn sofort.
    »Wir schaffen es nicht. Und dabei haben wir die ganze Nacht gearbeitet.« Mit einer fahrigen Bewegung beförderte er eine widerspenstige Strähne aus seinem Gesicht. Sie rutschte sofort wieder zurück.
    »Was schaffen Sie nicht? Worum geht es denn, Khalid?«
    »Wir haben alle unsere Möglichkeiten ausgereizt. Selbst wenn wir Server aus mehreren Rechenzentren zusammenschalten, können wir höchstens hundertzwanzigtausend Nutzer bedienen. Mehr geben die Leitungen nicht her. Das Datenvolumen der Videostreams ist einfach zu groß. Und hunderttausend Nutzer haben wir jetzt schon, obwohl noch nicht wirklich etwas passiert ist. Wir werden nicht verhindern können, dass die Leitungen zusammenbrechen.« Khalid sah Ellen müde an.
    Ellen nahm die Nachricht erstaunlich gelassen auf und lächelte ihn ermunternd an. »Ich kümmere mich darum. Machen Sie jetzt Pause.«
    Khalid zog sich zurück. Er hatte wohl mit einem mächtigen Anraunzer gerechnet, obwohl er ja nichts für die Probleme konnte.
    In einer Ecke der Einsatzzentrale entdeckte Ellen Direktor Brahe. Das passte gut, denn mit ihm musste sie dringend reden. Noch bevor Ellen ihn erreichte, tauchte Stefan ebenfalls in der Zentrale auf. Es wirkte zufällig, aber Ellen war bei dieser Art Zufälle skeptisch. Erst recht, als Stefan sich ungeniert zu ihr und Brahe stellte.
    »Ich brauche keinen Aufpasser«, sagte sie, ohne die beiden auch nur zu begrüßen.
    »Ich dachte, als dein Stellvertreter sollte ich bei wichtigen Besprechungen dabei sein.«
    »Als mein Stellvertreter solltest du mich da vertreten, wo ich nicht sein kann, wenn ich in wichtigen Besprechungen bin.«
    Stefan grinste nur, aber machte keine Anstalten zu gehen.
    »Sonst noch was?«, setzte Ellen nach.
    Endlich drehte Stefan sich um und ging.
    »Herr Brahe, könnte ich Sie einen Moment unter vier Augen sprechen?«
    »Selbstverständlich. Ihr Fall – und Sie – haben absolute Priorität für mich.«
    Sie gingen in den Nachbarraum, der als Ausweichzentrale ohne Kamerabeobachtung gedacht, aber immer noch nicht eingerichtet war.
    Als Ellen fertig war und wieder auf den Gang trat, fand sie dort Stefan ganz in der Nähe der Tür. »Na, erfolgreich gelauscht oder vergeblich?«
    Stefan machte ein saures Gesicht.
    »Wo du schon mal hier bist, kannst du jetzt die Mannschaft zu einer Besprechung zusammentrommeln. Beeil dich.«
    Wenig später waren alle relevanten Leute in der Ausweichzentrale versammelt.
    »Sie wissen alle, was der Erpresser von uns und speziell von mir erwartet«, sagte Ellen.
    Die Kollegen nickten stumm. Ellen fiel auf, dass einige sie bewusst nicht ansahen. Sie schienen unsicher zu sein, wie sie reagieren sollten, weil ihre Vorgesetzte bald wieder im BH vor ihnen stehen würde.
    »Und Sie werden selbst festgestellt haben, wie die Presse, das Radio und das Fernsehen über uns berichten. Diese Nachrichten heizen die Ängste in der Bevölkerung an und behindern unsere Ermittlungsarbeit aufs Äußerste. Deshalb sind Direktor Brahe und ich uns einig geworden, die Internetübertragung abzuschalten. Es wird keine Show mehr geben. Es geht nicht um Einschaltquoten, sondern um die Fahndung nach einem gefährlichen Verbrecher, dem wir mit allen erdenklichen Mitteln auf die Spur kommen

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