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Zehntausend Augen

Zehntausend Augen

Titel: Zehntausend Augen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Klaus Seibel
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Irgendwann stand er auf und nahm Ellen am Arm.
    »Komm. Probier es einfach.«
    Ellen ließ sich mitziehen. Ohne Pablos Arm hätte sie die Bühne wohl kaum erreicht. In der Reihe der Frauen konnte sie sich gerade noch aufrecht halten, ohne zu wanken. Dann spritzte der Animateur mit einem Schlauch kaltes Wasser auf die Oberteile der Frauen. Das kalte Wasser sorgte für einen Moment der Klarheit. Ellen spürte, wie ihr T-Shirt durchsichtig wurde und an ihr klebte. Sie sah die johlende Menge und die Blitzlichter der Kameras. Sollte sie weglaufen? Sie konnte sich das Gelächter der Zuschauer vorstellen. Und Pablo? Er würde sie wahrscheinlich nie mehr ansehen. Also blieb Ellen und machte wohl oder übel mit. Die ersten Frauen wurden herausgewählt und von der Bühne geschickt. Das Publikum buhte. Es kam neues Wasser. Sie mussten auf der Bühne hin- und herlaufen. Die Anzahl der Frauen auf der Bühne wurde immer kleiner. Ellen wäre liebend gerne ausgeschieden, aber sie kam Runde um Runde weiter. Die letzten drei Frauen wurden mit Champagner bespritzt. Die Flüssigkeit prickelte, kribbelte und klebte auf Ellens Haut. Eine Flasche Champagner wurde ihr zum Trinken gereicht. Ellen nahm einen großen Schluck. Irgendwann stürmte Pablo auf Ellen zu.
    »Du hast den zweiten Preis gemacht«, rief er. »Ich wusste es. Du bist sexyer als alle anderen.« Er drückte ihr noch ein Glas Champagner in die Hand.
    »Ich kann nicht mehr.« Ellen lehnte sich an Pablo. Es war ihr egal, wie klebrig sie war.
    »Doch, wir müssen auf deinen Preis anstoßen.«
    Ellen trank. »Welchen Preis?«, murmelte sie.
    »Der zweite Preis ist ein Tattoo nach freier Auswahl. Das Tattoo-Studio hier in der Anlage hat ihn gestiftet.« Pablo klang so begeistert, als hätte Ellen einen Sechser im Lotto gewonnen. »Das lassen wir sofort machen.«
    »Ach, ich weiß nicht.« Ellen hatte noch nie darüber nachgedacht, ob sie gerne ein Tattoo hätte. Sie war weder dagegen noch dafür. Gegen die Energie von Pablo kam sie nicht an. Der steuerte zielstrebig auf das Studio zu.
    Der Besitzer empfing Ellen und Pablo mit einem Wortschwall, von dem Ellen nichts verstand.
    »Einen Tiger für die Tigerin«, hörte Ellen Pablo auf Spanisch sagen.
    »Phantastisch«, sagte der Besitzer. »Und wohin?«
    Pablo überlegte nicht lange. »Auf die Brust. Nicht wahr, La Tigresa? Mit deinen Brüsten hast du ihn dir erkämpft, und da gehört er hin.«
    »Phantastisch«, sagte der Besitzer wieder. Er war selbst voll mit Tattoos und hatte unzählige Piercings in Ohren, Lippen, Augenbrauen.
    Ellen war sich in ihrem Nebel nicht sicher, ob sie diesen Vorschlag phantastisch finden sollte. »Aber nur auf die Seite. Da, wo man es nicht so sieht«, murmelte sie.
    »Na gut.« Pablo nickte dem Tätowierer zu.
    Ellen zog ihr T-Shirt aus. Es zeigte ohnehin mehr, als es verbarg, und es klebte so eklig. Sie legte sich auf eine Liege, streckte die Arme über den Kopf aus, um dem Tätowierer Platz zu machen – und schlief ein.
    Am nächsten Morgen war Pablo verschwunden. Zurück blieb ein verschorftes Tattoo, das sich später als energiegeladener, angriffslustiger Tiger im Sprung entpuppte. Eigentlich nicht schlecht, nur die Stelle, an der sich das Tattoo befand, war Ellen peinlich. Nun ja, viele würden es nicht zu sehen bekommen.

39
     
    Das Tattoo brannte auf Ellens Haut, als wäre es eben erst gestochen worden.
    764.
    Ellen blickte zum Monitor. Das Tiger-Tattoo war jetzt gut zu erkennen. Noch war sie die Einzige, die es zu deuten wusste, aber das würde sich bald ändern. Der Bildausschnitt wurde mit jedem Pulsieren des Countdowns ein Stück größer. Noch war nur der Tiger zu sehen, bald würde man die Konturen einer Brust erkennen. Nicht irgendeiner Brust – ihrer Brust.
    Etwas anderes schockierte Ellen weitaus mehr. Was war das für ein Foto? Sie kannte es nicht. Sie wusste überhaupt nicht, dass es von ihrem Aufenthalt im Tattoo-Studio Fotos gab. Nur Pablo konnte dieses Foto gemacht haben. War das eine Spur? Aber würde sich der Erpresser so dumm verraten? Und gab es etwa noch mehr Bilder von ihr, von denen sie selbst nichts wusste?
    »Sie sehen blass aus, Frau Faber«, sagte die Stimme aus den Lautsprechern. »Ist Ihnen nicht gut?«
    Ellen sagte nichts.
    »Sie werden verlieren, Frau Faber. Zahlen Sie Ihren Preis. Sie haben doch schon Übung – La Tigresa.«
    Er schien sehr genau zu wissen, wie sie an das Tattoo gekommen war. »Niemals.«
    Lachen.
    »Wir haben das Schiff«, rief Khalid. Das

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