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Zehntausend Fallen (German Edition)

Zehntausend Fallen (German Edition)

Titel: Zehntausend Fallen (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Klaus Seibel
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wissen.«
    Veritatis versuchte trotzdem mehrmals, die Tür zu öffnen. Vergeblich. Dann lehnte er sich zurück, verschränkte die Arme vor der Brust und sah starr nach vorne.
    Hajo fuhr die Karl-Marx-Straße durch Neukölln in Richtung Kreuzberg. Nach einer Weile bog er in eine Seitenstraße ein. Veritatis ließ sich nicht anmerken, ob ihn das beunruhigte. Er machte ein verkniffenes Gesicht und unterdrückte jede Regung.
    Ellen zeigte aus dem Fenster. »Sehen Sie das Gebäude?«
    Veritatis sah kurz hin und dann wieder weg. »Eine Schule, ja und?«
    »Die Röntgen-Oberschule. Hier hatte man Schulsheriffs eingesetzt, um die Gewalt in den Griff zu bekommen«, sagte Ellen.
    »Dass der Norden von Neukölln ein Problemviertel ist, brauchen Sie mir nicht zu erklären. Das weiß jeder Berliner.«
    Hajo fuhr langsam am Schulgebäude entlang. Der ohnehin hässliche Maschendrahtzaun war stellenweise eingedrückt. Das Eingangstor stand offen, aufgebrochen. Auf dem Gelände lungerten Jugendliche herum, einige hielten Flaschen in der Hand. Es wirkte nicht wie Schulbetrieb.
    »Die Schule ist geschlossen«, sagte Ellen. »Die Gewalt ist in den letzten Wochen wieder aufgeflammt, mehr als je zuvor. Man kriegt sie nicht mehr in den Griff. Die Schule ist für die Schüler zu gefährlich geworden.«
    Hajo fuhr wieder schneller, weiter in Richtung Kreuzberg. Auf den Durchgangsstraßen wirkte alles ganz normal, aber sobald er in kleinere Straßen abbog, änderte sich dieser Eindruck. Die Häuser sahen sowieso nicht gut aus und schrien nach Renovierung, aber jetzt war alles noch schlimmer. Etliche Fenster waren eingeworfen. Hier hatte es gewalttätige Ausschreitungen gegeben, die es letzten Abend sogar in die Nachrichten geschafft hatten. Einige Fenster waren mit Pappe provisorisch verkleidet.
    Durch ein Loch in einer Scheibe sah eine alte Frau hinaus. Sie wirkte nicht so, als ob sie das Fenster selbst abdichten könnte. Hoffentlich fand sie jemanden, der ihr half. Vor einem türkischen Minisupermarkt stockte der Verkehr. Eine Fahrspur war versperrt, weil es der Besitzer noch nicht geschafft hatte, die Trümmer seiner Auslagen zu beseitigen. Vielleicht hatte er auch keine Lust mehr. Was gestern Melonen ge wesen waren, war heute ein grünroter Matschberg.
    Veritatis sah zur anderen Seite aus dem Fenster. Dort kam ein Autowrack in Sicht. Ausgebrannt. Das Löschwasser war noch nicht verdunstet.
    »Warum zeigen Sie mir das alles?«, fragte er. »Ich weiß, dass es das gibt, ich sehe auch die Nachrichten. Jede Stadt hat ihre dunklen Seiten. Einmal brennen die Vorstädte von Paris, dann ist es London, jetzt ist eben Berlin dran. Überall gibt es Idioten, die außer Gewalt nichts zustande bringen. Das ist nicht meine Schuld.«
    »So einfach ist das?«, fragte Ellen. »Natürlich haben Sie dieses Auto nicht angezündet.« Sie zeigte auf eine neue Autoleiche am Straßenrand, einen Opel Vectra, dessen ursprüngliche Farbe man nicht mehr erkennen konnte. »Aber Sie sind trotzdem nicht unschuldig, Sie und Hasels.«
    »Ach, kommt jetzt etwa Kapitalismuskritik? Hasels soll schuld sein, weil er für einen Weltkonzern arbeitet, der Gewinne erwirtschaften muss? Und ich, weil ich mein renommiertes Institut am Leben erhalte?« Veritatis sah Ellen mit einem Blick an, der wohl Mitleid vorspielen sollte. »Ich hätte Sie für intelligenter gehalten.«
    Ellen zeigte mit ihrem Finger in Veritatis' Gesicht. »Es geht hier um Verbrechen im Namen der Gewinne, um ganz handfesten Gesetzesbruch. In unserem Land ist es verboten, genmanipuliertes Saatgut für die Lebensmittelproduktion einzusetzen, und Terminator-Saatgut zu verwenden ist ein Verbrechen. Wenn Sie es mit Ihrem Institut decken, dann hängen Sie mit drin. Da nützen Ihnen weder Spott noch vermeintlich intelligente Argumente.«
    Ellen nahm ihren Zeigefinger wieder weg.
    »Sie können mir gar nichts beweisen«, sagte Veritatis und sah nach vorne, als ob ihn die Trümmer rechts und links der Straße und die kaputten Fensterscheiben nichts angingen.
    »Das hat Ihnen Hasels gesagt, nicht wahr? Weil er glaubt, dass wir keine Beweise haben.«
    Veritatis lächelte grimmig. »Sie haben keine, sonst würden Sie dieses Theater nicht veranstalten.«
    »Richtig«, gab Ellen zu, »aber wenn Sie glauben, dass Sie damit aus der Nummer raus sind, dann täuschen Sie sich. Hier fängt unser Spiel erst an.«
    Veritatis machte eine wegwerfende Handbewegung. »Pah. Was wollen Sie ohne Beweise machen? Gar nichts. Und die hat Hasels

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