Zehntausend Fallen (German Edition)
unter Verschluss. Der wird einen Teufel tun und Ihnen irgendwas rausrücken.«
Ellen lächelte. »Das ist kein Problem für uns.« Und dann wanderte wieder ihr Zeigefinger vor Veritatis' Nase. »Weil Sie die Beweise besorgen werden.«
Veritatis sah Ellen an, als hätte die ihren Verstand verloren. »Das glauben Sie doch wohl selbst nicht. Warum sollte ich das tun?«
»Warten Sie es ab.«
Die Fahrt ging weiter, Kilometer um Kilometer. Ellen schwieg, auch wenn Veritatis fragte. Das mit großer Gelassenheit ausgesprochene »Warten Sie es ab« schwebte im Raum und nagte an der Selbstsicherheit des Professors.
Die Fahrt führte sie durch Wedding und ins Märkische Viertel. Überall waren zerbrochene Scheiben, Autowracks und andere Zeichen von Gewalt zu sehen. Ellen erkannte ihre Stadt kaum noch wieder. Mit jedem gefahrenen Kilometer wuchs in ihr die Wut auf die Verursacher von diesem Chaos – und gleichzeitig die Entschlossenheit, die wirklich Schuldigen ans Tageslicht zu zerren, damit der Gewalt ein Ende bereitet werden konnte.
Veritatis schien diese Entschlossenheit zu spüren. Er wurde unruhiger und zeigte Anzeichen von deutlicher Anspannung. Als das Taxi auf den verlassenen Hof einer Industriebrache einbog, standen Schweißtropfen auf seiner Stirn.
»Wir sind da«, sagte Hajo von vorne.
»Wo sind wir?«, fragte Veritatis. »Ich will nicht hier sein. Lassen Sie mich raus!« Er versuchte wieder, die Tür an seiner Seite zu öffnen. Dieses Mal so heftig, dass der Türgriff fast abbrach. Vergeblich. Er sah zur Tür an Ellens Seite. Die ließ sich öffnen, aber zwischen ihm und der Freiheit saß Ellen.
»Wagen Sie nicht, mich auch nur im Geringsten anzurühren«, sagte Ellen. Ihr Tonfall ließ keinen Zweifel offen, dass Veritatis ein solcher Versuch nicht gut bekommen würde.
Resigniert lehnte sich Veritatis zurück. »Also, was wollen Sie? Wollen Sie mich foltern, bis ich rede?«
Hajo schnallte sich ab und setzte sich etwas zur Seite, sodass er Veritatis und Ellen sehen konnte. »Sie denken sehr kreativ«, sagte er vieldeutig.
»Wir wollen erst mal, dass Sie nachdenken«, sagte Ellen. »Sie sind ein kluger Mann.«
Veritatis sah zwischen Ellen und Hajo hindurch über den Beifahrersitz nach draußen. Dort stand das verwahrloste Bürogebäude mit einer kleinen, zerfallenen Werkhalle nebendran. Der Haupteingang stand offen, die Fenster waren eingeworfen. Überall wucherte Unkraut. In der näheren Umgebung war kein Mensch zu sehen. Es war erstaunlich, dass es mitten in der Großstadt Berlin so einsam sein konnte.
»Sie wollen, dass ich nachdenke. Über was?«
»Über eine Zusammenarbeit mit uns. Wir möchten einige Erklärungen, und wir wollen Beweise.«
»Beweise soll ich Ihnen beschaffen? Gegen mich selbst? Vergessen Sie's. Ich bin doch nicht blöd.«
»Hasels setzt Sie unter Druck«, sagte Hajo, »das ist klar. Aber die Frage ist, welcher Druck schlimmer ist: der von Hasels oder ... Was kann Hasels Ihnen tun, wenn Sie mit uns zusammenarbeiten? Er kann Ihnen Aufträge und Geld entziehen. Das wird wehtun. Ihr Institut wird schrumpfen, aber es wird überleben. Die Frage ist nun, was passiert, wenn Sie nicht mit uns zusammenarbeiten.«
Veritatis presste seine Zähne so fest aufeinander, dass seine Wangenknochen deutlich hervortraten.
Hajo nahm einen Laptop vom Beifahrersitz, klappte ihn auf und hielt ihn so, dass Veritatis gut auf den Monitor sehen konnte. Ein Video startete. Ellen kannte die Aufnahmen. Sie zeigten ihr Gespräch mit Veritatis gestern im Steakhaus.
Veritatis wirkte überrascht. Dann schien er zu verstehen. Er beugte sich nach vorne, um besser sehen zu können, und wurde Minute um Minute blasser. »Sie haben alles aufgenommen«, sagte er tonlos.
»Das haben wir uns gegönnt«, sagte Hajo. »Und ist die Qualität nicht hervorragend? Besonders der Ton? Man versteht jedes Wort, besonders gut gelungen ist die Stelle, an der Sie zugeben, dass die Untersuchungsergebnisse möglicherweise gefälscht sind.«
Veritatis schien einige Zentimeter zu schrumpfen.
Hajo wechselte zu einem E-Mail-Programm. »Wie Sie unschwer erkennen können, habe ich eine kleine Nachricht vorbereitet.« Hajo deutete auf die Adresszeile, in der alle bekannten Nachrichtenredaktionen von Berlin aufgereiht waren. Die Zeile war beeindruckend lang. Er führte den Mauszeiger auf den Senden-Button. »Sehen Sie? Ich muss nur noch »Klick« machen, und schon ist unsere Stadt informiert. Ganz einfach, nicht wahr?«
»Das ist
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