Zehntausend Fallen (German Edition)
waren, hatten sie nichts verpasst. Auch das wäre nicht schlimm gewesen, denn Hajos Computer zeichneten alles auf.
Eine Toilettenspülung rauschte. Ein kurzer Wortwechsel zwischen Hasels und dem Professor. Dann, ein Knacksen. Aus.
»Hasels hat Veritatis' Handy ausgeschaltet«, sagte Ellen.
Hajo lächelte wieder. »Hasels ist ein cleverer Kerl. Er weiß, wie leicht man Handys abhören kann. Das hat er wahrscheinlich schon oft genug selbst gemacht, und uns traut er das auch zu.«
»Und bei den ganzen Gedanken an Hightech denkt er nicht mehr an die guten alten Wanzen.« Ellen hatte eine von diesen winzigen Abhörgeräten unter dem Revers von Veritatis' Jackett platziert, als sie ihn umarmt hatte, um ihn aus der Bar zu führen. Veritatis war viel zu überrascht gewesen, um etwas davon mitzubekommen.
Hajo klickte einen Befehl. Die Übertragung ging nahtlos weiter. »... Sie wollten sie mit Informationen versorgen ...«
»Hasels weiß, dass Veritatis uns Beweise zuschicken wollte«, sagte Ellen. Sie stellte ihr Weinglas heftig auf den Tisch.
Wenig später erklang ein seltsames Geräusch.
»Was ist das?«, fragte Ellen.
»Klingt wie ein Schredder.«
»Das heißt, Hasels schreddert das Angebot mit den Kopien für uns?«
Hajo nickte. »Es kann kaum anders sein.«
»Scheiße.«
Das Schreddergeräusch kam zum zweiten Mal.
»Und das waren wohl die Originale«, sagte Hajo .
30
Ein Handy klingelte.
Wie von einem Katapult hergeschossen stand Hajo plötzlich im Wohnzimmer. »Was ist das? Wie kommt ein Handy hierher?«
Ellen hatte Hajo noch nie so erregt gesehen. Er hatte einen richtig wilden Ausdruck im Gesicht.
»Das ist meins«, sagte Ellen ruhig.
»Wie kommst du dazu, ein Handy in unsere Wohnung zu bringen? Das habe ich ausdrücklich verboten. Du ...«
»Halt die Luft an!«
Das war ein Befehl. Ein sehr strenger Befehl. Hajo hielt tatsächlich mitten im Satz inne, als ob ihm jemand den Ton abgestellt hätte. Ellen hatte es nicht geschenkt bekommen, als erste Frau die Leitung der Berliner sek s zu übernehmen. Sie hatte sich durchgesetzt bei Männern, die nicht selten sehr überzeugt von sich selbst waren. Mit ihrem Blick bannte sie Hajo auf dem Platz, wo er stand, und nahm das Gespräch an.
»Ja?« Ellen hörte nur kurz zu. »Geht auf dem Kurfürstendamm spazieren. Tu, was ich dir sage.«
Ellen schaltete das Handy aus, entnahm den Akku, ging zum Wohnzimmerschrank und kam mit einem Nussknacker wieder. Sie legte das Handy zwischen die beiden Hebel.
Knack.
Nach zwei weiteren Knacks sah Ellen Hajo an. »Und jetzt zu uns. Ich weiß, wie gefährlich Handys sind, und ich will genau so wenig wie du, dass wir auffliegen. Du solltest nicht denken, ich wäre blöd. Dieser Anruf kam von einer Telefonzelle, und dieses Handy gab es nur für dieses eine Gespräch. Also, kein Risiko.«
Ellen konnte Hajo ansehen, wie es in ihm arbeitete. Er musste einsehen, dass Ellen alle Vorsichtsmaßnahmen beachtet hatte, aber zufrieden sah er nicht aus.
»Das hättest du mir sagen sollen. Mir gefällt nicht, wenn ich etwas nicht weiß.«
»Ach? Ich könnte dir eine ganze Liste geben von Sachen, die ich von dir nicht weiß.«
Dieses Thema schien Hajo nicht zu behagen. »Wer war das eigentlich?«
»Annika, meine Schwester. Sie hat ernsthafte Probleme.«
Hajo holte Luft für eine Erwiderung, aber Ellens Blick ließ ihn wieder nicht zu Wort kommen. Sie ging langsam auf ihn zu. »Ich werde meine Schwester und die Kinder nicht im Stich lassen. Niemals.«
Ellen blieb dicht vor Hajo stehen. Sie musste zu ihm hinaufschauen, aber trotzdem war sie stärker. Er konnte nicht mal seine Augen abwenden.
»Aber unser Plan«, sagte er schwach.
Ellen wartete noch ein paar Sekunden, dann entließ sie Hajo aus ihrem Blick. »Pläne kann man ändern oder aussetzen – und das werden wir jetzt tun. Ein Plan darf niemals über Menschen gehen.«
Ellen ging wieder zum Fenster. Hajo folgte ihr, aber weil das Fenster geöffnet war, blieb er im sicheren Abstand von drei Metern stehen. Ellen suchte das Europacenter. Das Hochhaus mit dem sich drehenden Mercedes-Stern obendrauf war leicht zu finden, viel e Berliner nannten es deshalb »i-Punkt«. Es stand in der Nähe von »Lippenstift und Puderdose«, der etwas respektlosen, aber liebvollen Bezeichnung für die Gedächtniskirche. Dort begann der Kurfürstendamm, wo sie Annika mit Hanna und Elias, ihren beiden Kindern, hinbestellt hatte.
Hajo räusperte sich. »Darf ich wenigstens erfahren, welche
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