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Zehnter Dezember: Stories (German Edition)

Zehnter Dezember: Stories (German Edition)

Titel: Zehnter Dezember: Stories (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: George Saunders
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wobei besagtes Wasser/Licht in Wahrheit die erforderliche Kombination aus neurologischer Tendenz und Umgebungsaktivierung darstellte, die sie (uns!) in den Abschaum der Erde verwandelte, in Mörder, und uns mit der extremsten, untilgbaren Grenzüberschreitung besudelte.
    Wow, dachte ich, war in der Infusion auch ein Schuss Verbaluce ™ gewesen oder was?
    Aber nein.
    Das war jetzt alles ich.
    Ich verhakte mich irgendwo und stellte fest, dass ich an einer Regenrinne festhing, auf der ich nun hockte wie ein luftiger Gargoyle. Ich war da, aber ich war auch überall. Ich konnte alles sehen: einen Knoten Laub in der Regenrinne, unter meinem durchsichtigen Fuß; Mom, die arme Mom, die sich zu Hause in Rochester beim Schrubben der Dusche mit dünnem, hoffnungsfrohem Summen aufzumuntern versuchte; ein Reh nicht weit vom Müllcontainer, das plötzlich meine geisterhafte Gegenwart gespürt hatte; Mike Appels Mom, auch in Rochester, ein knochiges, verzweifeltes Abhakstrichlein, das einen schmalen Streifen von Mikes Bett belegte; Rachel unten im Kleinen Arbeitsraum 4, von den Geräuschen meines Todes zum Polizeispiegel gezogen; Abnesti und Verlaine, die in den Spinnenkopf hasteten; Verlaine, der sich hinkniete und mit den Wiederbelebungsmaßnahmen anfing.
    Die Nacht brach herein. Die Vögel sangen. Die Vögel entfachten, fiel mir jetzt zu sagen ein, ein überschäumendes Fest des Tagesendes. Sie traten als bunte Nervenenden der Erde auf den Plan, das Versinken der Sonne drängte sie zum Handeln, erfüllte jeden Einzelnen von ihnen mit dem Nektar des Lebens, welcher sodann an die Welt weitergegeben wurde, aus jedem Schnabel drang er in Form seines charakteristischen Liedes, und das wiederum verdankte sich einem zufälligen Zusammentreffen von Schnabelform, Kehlenform, Brustkonfiguration, Hirnchemie: Einige Vögel waren mit ihrer Stimme gesegnet, andere verflucht; manche kreischten, andere sangen verzückt.
    Von irgendwoher fragte etwas Freundliches: Möchtest du zurück? Es ist deine Entscheidung, voll und ganz. Dein Körper lässt sich anscheinend retten.
    Nein, dachte ich, nein danke, ich hatte genug.
    Es tat mir nur wegen Mom leid. Ich hoffte, ich bekäme eines Tages an einem besseren Ort die Gelegenheit, es ihr zu erklären, und vielleicht wäre sie dann stolz auf mich, ein letztes Mal, nach all den Jahren.
    Drüben im Wald verließen, als hätten sie sich verabredet, alle Vögel ihre Bäume und rauschten nach oben. Ich schloss mich ihnen an, flog unter ihnen, sie erkannten nicht, dass ich anders war als sie, und ich war glücklich, so glücklich, denn zum ersten Mal seit Jahren und für alle Zeiten hatte ich nicht getötet und würde es auch nie mehr tun.

APPELL
    HAUSMITTEILUNG
    DATUM : 6. April
    AN: Personal
    VON : Todd Birnie, Abteilungsleiter
    BETR .: Leistungsdaten März
    Ich möchte dies ungern als Ermahnung bezeichnen, aber es könnte sich leicht so anhören (!). Fakt ist, wir haben einen Job zu erledigen, darüber haben wir uns stillschweigend geeinigt (habt Ihr Euch Euer letztes Gehalt auszahlen lassen, also ich schon, hahaha). Außerdem – um einen Schritt weiter zu gehen – haben wir uns geeinigt, den Job gut zu erledigen. Wir wissen wohl alle, wie man seinen Job nicht gut erledigt, nämlich indem man negativ an ihn herangeht. Angenommen, ein Regal muss gesäubert werden. Nur als Beispiel. Wenn wir die Stunde, bevor wir das Regal säubern, damit zubringen, den Prozess des Säuberns kleinzureden, uns darüber zu beklagen, uns davor zu grausen, die moralischen Annehmlichkeiten des Regalsäuberns zu hinterfragen und was nicht alles, dann passiert eins, nämlich dass wir den Prozess des Regalsäuberns schwieriger gestalten, als er eigentlich ist . Wir wissen alle sehr gut, dieses »Regal« wird auf jeden Fall gesäubert werden, so wie die Stimmung derzeit ist, und zwar entweder von Euch oder von dem Typen, der Euch ersetzen und Euer Gehalt kassieren wird, also läuft alles letztlich auf eine Frage hinaus: Will ich das Regal freudig säubern oder traurig? Was von beidem wäre effektiver? Für mich? Wie würde ich mein Ziel effektiver erreichen? Was ist mein Ziel? Bezahlt zu werden. Wie erreiche ich dieses Ziel am effektivsten? Indem ich das Regal gut und schnell säubere. Und welche Geisteshaltung hilft mir dabei, das Regal gut und schnell zu säubern? Lautet die Antwort: eine negative? Eine negative Geisteshaltung? Ihr wisst sehr gut, dass das nicht die Antwort ist. Bei dieser Hausmitteilung geht es also um:

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