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Zehnundeine Nacht

Zehnundeine Nacht

Titel: Zehnundeine Nacht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Charles Lewinsky
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Scherereien will», sagte der König.
    «Nein», sagte die Prinzessin. «Weil sich die Leute darauf verließen, dass er auch ohne sie gefasst würde. Das Auto wusste ja, wer versucht hatte, es zu öffnen. Und das bedeutete, dass auch die Polizei es wusste. Die Beamten mussten nur in ihrem System nachsehen, um festzustellen, wo sich dieser Jemand gerade befand. Genau zu diesem Zweck hatte man ja die persönlichen Karten eingeführt.»
    «Was für Karten?», fragte der König.
    «Es ist ganz einfach», erklärte die Prinzessin. «In dieser Zukunft war es so: Jeder Mensch musste immer eine Chipkarte bei sich tragen, auf der alle Angaben über seine Person gespeichert waren. Sein Name, sein Alter, der Wohnort, die Blutgruppe, die Höhe der Summe auf seinem Konto und so weiter und so weiter. Wenn man ein Auto kaufte, wurde das auf der Karte programmiert, und von dem Moment an diente sie dafür als Schlüssel. Sobald man mit der Karte in der Tasche vor seinem Wagen stand, öffnete sich die Verriegelung.»
    «Und warum funktionierte das bei ihm nicht?», fragte der König.
    «Das wusste er nicht», sagte die Prinzessin. «Er wusste nur, dass sein Wagen ihn aus irgendeinem Grund nicht erkannt hatte. Ein Fehler im System, dachte er, obwohl jedermann wusste, dass das System nie Fehler machte.»
    «Mit so einer Karte kann man also jederzeit wissen, wo sich jemand befindet?»
    «Genau», sagte die Prinzessin.
    Der König kratzte nachdenklich an seinem Pickel herum. «Dann würde ich sie einfach nicht bei mir haben», sagte er.
    «Ohne Karte wurde man sofort verhaftet. An jeder Ecke gab es Sensoren, die das überprüften.»
    «Eine Scheißzukunft hast du dir da ausgedacht», sagte der König. «Da kriegt man ja einen schlechten Geschmack im Mund. Gib mal die Flasche vom Nachttisch rüber.»
    Er nahm einen tiefen Schluck Whisky und noch einen. Das half ihm beim Nachdenken, hatte er ihr einmal erklärt.
    Die Prinzessin schaute sehnsüchtig nach den Zigaretten, die jetzt verstreut auf dem schmutzigen Teppichboden lagen.
    «Wenn man dauernd kontrolliert wird», fragte der König schließlich, «wie macht man dann in deiner Zukunft Geschäfte?»
    «Es ist schwierig», sagte die Prinzessin.
    «Eben», sagte der König.
    «Aber sehr lukrativ, wenn es einem gelingt.»
    «Mir würde es gelingen», sagte der König.
    «Ganz bestimmt», sagte die Prinzessin. Dann erzählte sie weiter. «In die Gegend, wo sich sein Büro befand, fuhr auch eine Straßenbahn. Sie sah gar nicht so anders aus wie die, die man heute hat. Nur dass sie keinen Fahrer mehr brauchte. Und dass der Fahrpreis beim Einsteigen direkt vom Konto des Passagiers abgebucht wurde.»
    «Über die Chipkarte.»
    «Genau», sagte die Prinzessin. «Aber bei dem jungen Mann funktionierte das an diesem Morgen nicht. Statt dem leisen ‹Ping›, das üblicherweise die Abbuchung bestätigte, ertönte ein grelles Läuten. Alle Fahrgäste drehten sich nach ihm um. Man hörte dieses Geräusch selten, aber es wusste doch jeder, was es bedeutete: Da hatte verbotenerweise jemandeinsteigen wollen, der nicht genug Geld auf dem Konto hatte, um die Fahrt zu bezahlen.
    ‹Was ist denn nur mit meiner Karte los?›, sagte der junge Mann. Er sprach absichtlich laut. Die Panne war ihm peinlich, und die andern Passagiere sollten wissen, dass es nicht seine Schuld war. Sie sahen ihn mit verschlossenen Gesichtern an und glaubten ihm nicht.
    Es blieb ihm nichts anderes übrig, als zu Fuß zur Arbeit zu gehen. Der Weg war weit, und die Straßen nicht für Fußgänger gemacht. Von unterwegs versuchte er seine Freundin anzurufen. Aber sein Telefon ließ sich nicht einschalten, und er ...»
    «Moment», sagte der König. «Lass mich raten. Sein Telefon hing auch mit dieser doofen Chipkarte zusammen. Stimmt’s?»
    «Stimmt», sagte die Prinzessin. «Du findest dich schnell zurecht.»
    «Das muss man können», sagte der König. «Sonst hat man keine Chance. Einmal habe ich ein neues Kartenspiel in einer Viertelstunde gelernt. Nur mit Zuschauen. Ich hab aber so getan, als ob ich überhaupt nichts kapiert hätte. Sie wollten mich ausnehmen, und ich habe ihnen die Hosen ausgezogen.»
    «Ein hübsches Bild», sagte die Prinzessin.
    «Ich würde mich auch in der Zukunft zurechtfinden. Letzten Endes ist alles eine Frage der Persönlichkeit.»
    «Das mag wohl sein», sagte die Prinzessin.
    Der König nahm noch einen Schluck Whisky. «Erzähl weiter», sagte er.
    «Der junge Mann war erst ein paar Straßen weiter

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