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Zeit der Eisblueten

Zeit der Eisblueten

Titel: Zeit der Eisblueten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kitty Sewell
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was sie erhofften, aber er wusste auch, dass seine Zustimmung verhängnisvoll für Ian sein würde. Der Mann musste zu irgendeiner Form äußerer Normalität zurückkehren. Er brauchte die Disziplin der Arbeit. Gleichzeitig jedoch hatte Dafydd keinen Zweifel, dass Ian, wenn er in seinem derzeitigen Vergiftungsstadium auf Patienten losgelassen wurde, gefährlich für sie sein konnte. Es wäre unverantwortlich, ihn in solch eine Situation zu bringen.
    Dafydd versuchte, eine akzeptable Stellungnahme zu formulieren, als Hogg plötzlich das Schweigen brach. Mit vor Erbitterung und Zorn verzerrtem Gesicht wandte er sich an Dafydd. »Also, warum schleichen wir um den heißen Brei herum? Ich glaube nicht, dass Ian gegenwärtig in der Verfassung ist zu arbeiten.« Er trat einen Schritt auf Ian zu und stemmte die Hände in seine dicken Hüften. »Sehen Sie, mein Bester, wir arbeiten seit vielen Jahren zusammen, und deshalb glaube ich, dass ich Ihnen … ein gewisses Entgegenkommen schulde. An Ihnen als Arzt habe ich nichts auszusetzen, aber die vergangenen ein oder zwei Jahre … Nun, ich glaube nicht, dass wir noch lange so weitermachen können. Oder was meinen Sie?«
    »Ach, hören Sie auf«, erwiderte Ian. »Sie wissen ebenso gut wie ich, dass Sie mich nicht loswerden können, es sei denn, ich baue Mist. Aber Sie können mir nicht das Geringste anhängen. Ich habe ein Anrecht auf Krankenurlaub, und davon mache ich jetzt Gebrauch. Ich bin nicht in der Verfassung, die Arbeit am Montag wieder aufzunehmen.«
    »Das ist mir klar«, sagte Hogg mit vor Sarkasmus triefender Stimme.
    »Geben Sie mir bis Neujahr. Ich bin sicher, dass es Dafydd nichts ausmachen würde, mich noch ein paar Wochen länger zu vertreten. Stimmt’s, Dafydd?« In Ians Stimme war eine neue Nuance. In seinen Trotz hatte sich ein Hilferuf eingeschlichen, ein erbarmungswürdiges Flehen um Zeit. Es berührte Dafydd zutiefst, und er wäre am liebsten an die Seite seines Freundes geeilt und hätte ihn gebeten, seine furchtbare Selbstzerstörung zu beenden. Aber so etwas konnte er nicht in Hoggs Gegenwart tun. Die beiden sahen wieder zu Dafydd hin und warteten auf eine Antwort.
    »In Ordnung«, sagte er, »bis zum ersten Januar … Aber nicht länger!« Er suchte Blickkontakt zu Ian, aber der hatte die Augen auf den Boden gerichtet.
    »Wunderbar.« Hogg machte einen Schritt zur Tür. Dann zögerte er und drehte sich erneut zu Ian um. »Ich fürchte, dass ich Ihnen dazu etwas Offizielles schreiben muss. Sie wissen, dass es wirklich das letzte Mittel ist, und ich wende es nicht gern an.« Hilflos zuckte er die Schultern, doch Ian reagierte nicht. Hoggs Augen verrieten ehrliche Betrübnis.
    Dafydd fragte sich, wie viel dieser Mann über die Situation wusste. Er konnte wohl kaum völlig blind gegenüber all dem gewesen sein, was sich so viele Jahre vor seiner Nase abgespielt hatte. Vielleicht hatte seine Leidenschaft für Sheila ihn ein Auge zudrücken lassen.
    Hogg knöpfte seinen Mantel zu und ging hinaus. Dafydd schloss die Tür vor der eisigen Dunkelheit und hörte den Motor des Geländewagens aufheulen, als Hogg um Ians Auto herum- und die Auffahrt hinunterrollte. Dann leerte er die Co-op-Tüten auf dem Küchentresen und öffnete eine Dose Hundefutter.
    »Versteh bitte, dass ich dich nicht mehr stützen kann«, erklärte Dafydd. »Ich muss dir dein Auto zurückgeben, damit du wieder die Verantwortung für dein Leben übernimmst. Ich glaube, dass ich dir einen Bärendienst erwiesen habe. Es war sehr dumm von mir.«
    »Wir haben gesagt, der 1. Januar. Warum belassen wir es nicht dabei? Es ist genau das richtige Datum für einen Neuanfang.«
    »Nein!«, rief Dafydd. »Begreifst du denn nicht, dass das nicht gut ist? Du wirst dann in einer noch schlechteren Verfassung sein als jetzt. Warum nutzt du die Zeit nicht, um von dem Zeug runterzukommen? Wenn du dich nirgends behandeln lassen willst, kannst du es hier machen. Ich werde dir helfen.«
    »Ich reduziere das Trinken, aber es gibt keinen Grund, mit dem Demerol aufzuhören. Es beeinträchtigt meine Arbeitsfähigkeit nicht. Damit funktioniere ich hervorragend.«
    »Ian!«, schrie Dafydd. »Du weißt, dass du unter Drogeneinfluss nicht arbeiten darfst. Du gefährdest das Leben der Patienten.«
    »Ich habe noch keinen einzigen Patienten umgebracht«, brüllte Ian zurück und stand von seinem Stuhl auf. »Ich habe nie jemanden getötet außer meiner Frau.«
    Dafydd trat auf seinen Freund zu, packte seine Schultern und

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