Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Zeit der Eisblueten

Zeit der Eisblueten

Titel: Zeit der Eisblueten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kitty Sewell
Vom Netzwerk:
kümmern.
    Dafydd musste seine Erleichterung darüber eingestehen, dass er so spät von ihnen erfahren hatte. Es wäre schrecklich gewesen, all die Jahre der Sorge um kleine Kinder durchleben zu müssen und nicht genau zu wissen, was ihre Mutter ihnen antat; dazu wäre die mit der großen Entfernung verbundene Machtlosigkeit gekommen.
    Er ging zurück ins »Zentrum«. Unterwegs trat er, die Hände tief in seinen großen Parkataschen versenkt, nach dem Schnee. Tillie würde schon warten. Er konnte sie nicht einfach abfertigen und nach oben in sein Zimmer verschwinden. Nicht nach dem gemütlichen Nachmittag in ihrem Wohnzimmer. Aber das genügte nicht. Wahrscheinlich würde er ein Haus mieten müssen, wo sich die Kinder austoben konnten und wo er die von ihm ersehnte Privatsphäre hatte.
    Aber wie lange konnte er diesen Aufenthalt noch ausdehnen und wozu? Sein letztes Telefonat mit der Krankenhausleitung in Cardiff war keineswegs erfreulich verlaufen. »Was ist los, Doktor Woodruff?«, hatte der Geschäftsführer gefragt. »Haben Sie nicht die Absicht, an Ihre Arbeit zurückzukehren? Ihr Vertreter möchte vorankommen. Er ist wirklich ein guter Mann. Wir hätten nichts dagegen, wenn er bliebe.«
    Verbarg sich hinter diesen Worten eine Aufforderung zu kündigen, oder litt er unter Verfolgungswahn? »Ich kann noch ein paar Wochen lang nicht zurückkommen, aus persönlichen Gründen. Ich muss Sie bitten, meinen unbezahlten Urlaub zu verlängern. Es geht um die Entdeckung meiner eigenen Kinder, von deren Existenz ich bisher nichts wusste.«
    »Kinder? Um Himmels willen, Doktor Woodruff. Das hätten Sie sagen sollen. Sehen Sie, wir schätzen Sie sehr, aber Sie können nicht ewig wegbleiben. Sonst schaffen Sie einen Präzedenzfall.«
    Dafydd kicherte in sich hinein, als er um eine Straßenecke bog und über einen Hundehaufen hinwegtrat. Wenn der Bursche wüsste, welche Zahl an Kindern möglicherweise zusammenkam.
    Unvermittelt blieb er vor dem Northern Holiday Hotel stehen. Ein untersetzter Mann hackte und schaufelte wie besessen, um das Eis vor dem Eingang zu entfernen, auf dem die spendierfreudigen Gäste ausrutschen konnten. Dafydd grüßte ihn mit einem Nicken und trat ein.
    Im Hinterkopf dachte er an Ian. Dafydd hatte seit drei Tagen nichts mehr von ihm gesehen oder gehört, und er begann, sich Sorgen um ihn zu machen. Die großzügig ausgestattete Empfangshalle verfügte über mehrere abgeschirmte Telefonzellen, und er schloss sich in eine dieser mit Teakholz getäfelten Kabinen ein. Er zog einen Stift, einen Zettel und seine Kreditkarte hervor und wählte Ians Nummer, die er auswendig kannte. Dann blickte er auf den Stift und das Papier und fragte sich, warum er sie hervorgeholt hatte.
    Die Knie wurden ihm weich. Er legte den Finger auf die Telefongabel und brach den Anruf ab. Er wusste, warum er hier war, aus welchem vorrangigen Grund. Ja, er sorgte sich um Ian, aber er befand sich nicht deshalb in dieser Telefonzelle.
    Drei Anrufe später stand eine Nummer auf dem Zettel. Er erkannte die Nummer. Sie war vor seinen Augen aufgeblitzt, als er in den Patientenberichten fündig geworden war.
    Seine Finger zitterten, als er die Zifferntasten drückte, langsam, eine nach der anderen. Sein Mund war trocken. Es klingelte zwei Mal.
    »Hier ist Charlie!« Die krächzende Tonlage eines im Stimmbruch befindlichen Heranwachsenden.
    »Hallo Charlie. Mein Name ist Dafydd Woodruff.« Er schluckte heftig, bevor er fortfahren konnte. »Ist deine Mutter da?«
    »Klar doch … Mom!« Seine Stimme klang kühl und heiser, als er seine Mutter rief. »Ein David Walross ist am Telefon.«
    »Hallo«, erklang ihre süße Stimme, ihr lieblicher Akzent. Wie gut er sich daran erinnerte.
    »Uyarasuq. Ich bin’s, Dafydd … der Dafydd aus fernen Zeiten. Von vor vierzehn Jahren.«
    »Dafydd.« Er konnte sie kaum hören, so sanft sprach sie seinen Namen aus. Sie machte eine längere Pause, dann fragte sie: »Wo bist du, Dafydd? Von wo rufst du an?«
    »Ich bin in Moose Creek. Ich würde dich gern sehen. Bald. Ich würde gern vorbeikommen. Ich muss mit dir reden.« Er sprach schnell, atemlos, versuchte, sich zu bremsen. Ihm war klar, dass er fragen sollte, wie es ihr ging, dass er freundlich mit ihr plaudern, höflich, zurückhaltend sein musste.
    »Es ist … Ich bin … Warum bist du dort?«
    »Hör mal, Uyarasuq. Es tut mir leid, aber ich muss dich fragen. Wahrscheinlich liege ich völlig daneben, aber ich muss es wissen. Dein Sohn, Charlie, er ist

Weitere Kostenlose Bücher