Zeit der Eisblueten
hatte er keine normale Mahlzeit mehr zu sich genommen, sondern von verschiedenen undefinierbaren, in Frischhaltefolie eingewickelten Klumpen aus dem Gefrierschrank und den Pizzas und Fertigsalaten gelebt, die Isabel eilig nebenan bei Ved Chaudhury & Sons gekauft hatte, einem Laden, der in Wirklichkeit von Mrs Chaudhury und ihren Töchtern betrieben wurde. Mrs Chaudhury war entsetzt über Isabels Bericht von Dafydds Unfall gewesen und hatte angeboten, täglich eine ihrer Töchter mit frisch gekochten Mahlzeiten vorbeizuschicken, solange Isabel fort war. Zu Dafydds Enttäuschung hatte Isabel das freundliche Angebot abgelehnt.
Er ging nach oben, um sich zu duschen. Vermutlich lag die letzte Dusche schon mindestens zwei Tage zurück. Er warf seinen Bademantel ab und stellte sich in die Kabine. Aber so sehr er sich auch bemühte abzuschalten und seine Gedanken durch den Wasserstrahl reinigen zu lassen – er konnte nicht zur Ruhe kommen. Es war, als zerbrösele sein Leben, obwohl, wie er zugeben musste, nichts wirklich Bedrohliches geschehen war. Vielleicht war seine Existenz einfach viele Jahre hindurch so ereignislos gewesen, dass ihm diese kleinen Missgeschicke übermäßig verzerrt und aufgebläht erschienen.
Der Verlust seiner Velocette Venom war ein Schlag – eine wunderschöne Reliquie aus rostendem Metall auf zwei Rädern, die ihm so viele Jahre gedient hatte. Sie war so gut wie unersetzlich, aber zugleich bedeutete der Totalschaden auch eine klare Zäsur: das Ende eines Zeitalters. Das Verhältnis zu Isabel würde wieder vollständig hergestellt werden, sobald die DNA-Tests abgeschlossen waren. Und sein Fahrverbot – ein Jahr verstrich heutzutage ja im Nu. Der Ruf eines betrunkenen Fahrers mochte ihm allerdings noch länger anhängen.
Er stieg aus der Dusche und begann, seine Bartstoppeln abzurasieren. Sein Leben musste weitergehen; er würde die Hindernisse überwinden. Proaktiv sein. Er würde sich anziehen und wieder zur Arbeit gehen. Vier Tage reichten zur Genesung aus. Sein blaues Auge war nun giftig gelb geworden, aber was machte das schon? Sein Knie würde dem Tempo des Klinikalltags wohl gewachsen sein, und sein Handgelenk war fast wieder gesund. Und sein Stolz? Der würde eben hintanstehen müssen.
Die Woche näherte sich ihrem Ende. Es war ihm gelungen, wenig Aufsehen zu erregen und seine Arbeit fortzusetzen, ohne auf Anspielungen und Grinsen oder freundliches Schulterklopfen einzugehen. Nun lag das Wochenende vor ihm, und Isabel wollte am Nachmittag wieder zu Hause sein. Den gesamten Morgen hatte er in nervöser Erwartung verbracht. An den meisten Tagen hatten sie miteinander telefoniert, und sie wirkte schuldbewusst, vielleicht sogar verlegen. Sie spielte auf irgendeine Wiedergutmachung an, wobei ihm unklar war, ob sie das sexuell, emotional oder einfach nur häuslich meinte und warum sie glaubte, er habe es verdient.
Sein Piepser ertönte schrill, während er sich mit einer Frau über die anstehende Entfernung ihrer Gallenblase unterhielt.
»Ich bin wieder zu Hause«, stöhnte Isabel, als er schließlich ein Telefon erreichte. »Gott sei Dank. Was für eine Fahrt.«
»Das kann ich mir vorstellen. Hör mal, ich hatte gestern Abend Notdienst und bin seit dem Morgengrauen hier. Es sind keine Lebensmittel mehr im Haus. Warum gehen wir nicht einfach irgendwo essen? Ich möchte alles über deine Unternehmung hören. Lass uns doch nach unten an die Bucht fahren. Wie wär’s mit Eduardo? Was hältst du davon?«
»Wunderbar«, antwortete sie und klang erfreut. »Kommst du erst nach Hause, oder sollen wir uns dort treffen?«
»Na ja«, meinte er zögernd. Sie hatte offenkundig den Entzug seines Führerscheins vergessen. »Am besten treffen wir uns dort. In der Bar. Wie wär’s mit halb acht? Ich lasse einen Tisch reservieren.«
Sie trafen sich auf dem Parkplatz. Isabel kam mit dem Taxi und schien überrascht zu sein, als Dafydd aus Jim Wisemans Personentransporter kletterte, von dem er sich hatte mitnehmen lassen. Sie sah umwerfend in dem weichen schwarzen Kleid aus, das sich an ihren Körper schmiegte, als wäre es ihr aus einer Dose aufgesprüht worden. Um die Schultern trug sie einen neuen Kaschmirschal. Die durch harte Arbeit oder durchwachte Nächte entstandenen Ringe unter den Augen und der scharlachrote Lippenstift ließen sie ihrem Alter entsprechend aussehen, aber dennoch wirkte sie beeindruckend. Eine plötzliche Begierde stieg in ihm hoch, wie er sie schon seit sehr langer Zeit nicht
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