Zeit der Eisblueten
mehr für sie empfunden hatte, aber dieses Gefühl enthielt nichts Zärtliches. Er wollte sie auf die gleiche Art, wie er sie einst gewollt hatte, vor Jahren, bevor Sex zur Anstrengung geworden war.
Das Restaurant war brechend voll wie immer in jüngster Zeit. Der angesagte Ort, um gesehen zu werden. Sie hatten es acht Monate vorher entdeckt, als es noch um sein Überleben kämpfte. In unverminderter Loyalität eilte Eduardo mit ausgestreckten Armen auf sie zu. »Wie schön, ich habe Ihren Lieblingstisch reserviert … Isabella!« Er schürzte seine dicken Lippen und gab ihr auf jede Wange einen geräuschvollen Kuss. Dann umklammerte er Dafydds Hand und schüttelte sie mit beiden Händen.
Sie saßen am Fenster mit Blick auf die Anlegestation der Wassertaxis. Auf dem Meer war nur noch ein Schimmer des Sonnenlichts zu erkennen, und die Kliffs von Penarth sahen schwarz aus. Am Jachthafen funkelte eine Reihe Lichter, und die Promenade unterhalb des Restaurants war voller Paare, die spazieren gingen, lachten und tranken. Dafydd sank zufrieden auf seinen Stuhl und seufzte behaglich. Dies erschien so normal, so intakt. Er überflog die Karte und hob eine Augenbraue. Eduardos Geschäfte liefen gut, zu gut, wie die neuen Preise zeigten.
Der kleine Mann kam mit einer guten Flasche Wein herbeigeeilt. Er hatte ein vorzügliches Gedächtnis. »Auf Kosten des Hauses, meine Freunde.« Seine warmen, feuchten Augen wirkten traurig. »Sie kommen nicht mehr so oft. Ich mache immer Platz für Sie. Jederzeit, nur damit Sie’s wissen.«
Das Paar am Nachbartisch fragte sich, wer sie wohl seien. Die beiden beugten sich zueinander vor und flüsterten sich ihre Mutmaßungen zu. Isabel sah im Kerzenschein wie ein Filmstar aus. Dann zog sie ihren stinkenden kleinen Tabakbeutel und ihre Rizlas hervor und rollte eine jointähnliche Zigarette, aus deren beiden Enden Tabakfäden hervorragten. Dafydd seufzte und schielte zu dem Ehepaar am Nachbartisch hinüber. Die Miene der Dame hatte sich schlagartig von Neugier in unverhohlenen Abscheu gewandelt. Der Mann schnippte mit den Fingern nach Eduardo, der sofort herbeigerannt kam.
»Ober, das hier soll doch ein Nichtraucherbereich sein«, meinte er und wies mit dem Daumen in Isabels Richtung. »Meine Frau hat Asthma.«
»Ist schon gut«, murmelte Dafydd und warf Isabel einen flehenden Blick zu. »Zünde sie einfach nicht an … bitte.«
Ihre riskante Heimkehrfeier erhielt einen kleinen Dämpfer. Isabel warf die Zigarette gereizt auf ihren Beilagenteller. Sie hatte wieder zu rauchen begonnen, basta, und solange sie das tat, wollte sie sich zu ihrem Drink auch eine anstecken.
Andere Tische waren nicht mehr frei. Merklich bedrückt warf Eduardo ihnen von seinem Platz nahe der Tür immer wieder Signale der Solidarität und der Hilflosigkeit zu. Es störte, und Dafydd wünschte, er könnte sich von dem wohlwollenden Wirt abwenden, aber dieser stand genau in seiner Blickrichtung.
Ein winziges Insekt umkreiste die drei Gänseblümchen in einer die Tischmitte schmückenden Vase. Isabel schlug danach, stieß die Vase um, und das Wasser lief über die gestärkte weiße Tischdecke. Dafydd versuchte, es mit seiner Serviette aufzutupfen, und sagte kichernd: »Selbst wenn sie sich in Gala wirft … man kann sie nirgendwo mit hinnehmen …« Sie verbarg ihr Lächeln hinter ihrem Weinglas; es war ein echtes Lächeln.
»Ich habe dich vermisst.« Er griff ihre Hand und bemerkte, dass ihr Ehering fehlte. Ein schmaler Kreis aus weißer Haut markierte die Stelle, wo er während der vergangenen sechs Jahre gesessen hatte. Dafydd streichelte den Kreis mit dem Daumen und sah sie fragend an.
»Ich hatte ihn abgenommen … Habe heute Morgen das Hotelzimmer auf den Kopf gestellt und alles abgesucht. Er muss irgendwo hingerutscht sein.«
»Ein freudscher Rutscher, wie?«, kommentierte er lächelnd. »Gut fürs Geschäft, ihn in Glasgow nicht zu tragen?«
Sie runzelte die Stirn, und Dafydd wünschte, er hätte es nicht gesagt. Sie war während der vergangenen Wochen so schlecht gelaunt gewesen, dass er das Gefühl hatte, ihren Stimmungen behutsam ausweichen zu müssen. Er hatte fast vergessen, was ihn an Isabel so angezogen hatte: ihre merkwürdige Mischung aus Kultiviertheit und Mutwillen. Ein mörderisches Temperament, und sie konnte überaus nachtragend sein. Aber für ihn machte das einen Teil ihres italienischen Reizes aus.
Er goss ihr nach. Der Wein war teuflisch stark. Sie trommelte mit ihren langen Nägeln
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