Zeit der Finsternis
aufgebracht, aber Benjamin winkte nur genervt ab.
"Ja, nimm sie nur die ganze Zeit in Schutz. Merkst du es nicht? Sie gehört nicht mehr zu uns! Was willst du tun, warten bis wir alle für sie drauf gehen?!" Sein zischender Unterton traf mich mitten ins Herz.
"Wir werden so oder so sterben!" Ich zuckte resignierend die Schulter. "Du hast es ja selbst gelesen, Melissa ist tot...und das haben wir nur Andrew zu verdanken! Er hat uns alle verraten! Meiner Meinung nach, war sein Tod die gerechte Strafe dafür! Da spielt es auch keine Rolle mehr, wer ihn letztendlich auf dem Gewissen hat."
"Was ist mit Melissa?! Los Benjamin, gib den Brief her!" Max´ ungläubige Stimme durchbrach unseren Streit und Benjamin hielt Max den unheilvollen Zettel hin. "Hier, lies selbst. Julian hat recht...jetzt werden wir alle draufgehen!", brummte er und trat mit hängenden Schultern zurück ins Haus.
Max las sich immer und immer wieder die Zeilen durch, die uns wissen ließen, dass jede Hoffnung mit Melissa gestorben war. Er schien nicht glauben zu wollen, was passiert war!
Plötzlich öffnete sich das Tor der Tiefgarage und Benjamin kam mit einem Pick up nach oben geschossen. Er bremste scharf vor uns ab und sprang vom Fahrersitz.
"Ich werde Andrews Leiche jetzt erstmal beseitigen.", erklärte er und ich blickte auf die Ladefläche des Wagens, auf der eine schwarze Plane und eine Schaufel lagen. "Ich helfe dir." Ava hatte mittlerweile ihre Sprache wiedergefunden und schien erleichtert darüber, der Situation erstmal entfliehen zu können. Sie hatte bis jetzt für niemandem Partei ergriffen. Aber mir war auch klar, dass es schwer für sie werden würde, zu akzeptieren, dass uns Andrew - der ihr damals durch die schwere Zeit half - bei Damian verraten hatte.
"Was machen wir denn jetzt?", hörte ich Caroline fragen, während Ava und Benjamin davonfuhren. "Ich weiß es nicht!", erwiderte Max niedergeschlagen.
Valentina schluchzte laut auf und wurde von Tamaras Schwester mit beruhigenden Worten zurück in die Wohnung gebracht. Bevor die beiden im Treppenhaus verschwanden, warf Caroline mir einen mutlosen Blick zu und schüttelte den Kopf.
Max zerknüllte Damians Nachricht und ballte die Faust um das Papier. Er zitterte vor Wut und seine Stimme bebte. "Komm Julian, hier können wir nichts mehr tun. Lass uns reingehen und in Ruhe überlegen, was wir jetzt tun." Es kostete ihn sehr viel Kraft, ruhig und zuversichtlich zu klingen, aber ich hatte ihn längst durchschaut.
"Nein Max!" Ich schüttelte den Kopf und starrte auf die Stelle, an der Andrews Körper abgelegt worden war. "Ich...ich muss mal einen Moment für mich allein sein..." Noch bevor er etwas erwidern konnte, hatte ich mich von ihm abgewandt und rannte los.
Ich rannte so schnell mich meine Beine trugen. Ein Ziel hatte ich nicht vor Augen, ich wollte in diesem Moment einfach nur flüchten.
Es war eine Flucht vor der Flut von Gefühlen, die drohten, mich zu überrollen und eine Flucht vor der Aussichtslosigkeit, die uns eine ungewisse Zukunft vor Augen führte. Tausend Gedanken schossen mir durch den Kopf.
Ja, Tamara war verantwortlich für Andrews Tod. Aber es war nicht ihr freier Wille, der sie das tun ließ. Ich würde sie nicht aufgeben, nicht so lange ein Funken Hoffnung in mir keimte, dass sie zu retten war.
Und Andrew? Der war wohl der Meinung gewesen, dass er seine Haut retten könnte, indem er uns an Damian ausgeliefert hatte. Leider musste er am eigenen Leib erfahren, dass Damian nie sein Wort hielt. Das wusste ich nur zu gut.
Während die Lichter der Stadt an mir vorbeirauschten, kroch mir plötzlich ein gut bekannter Geruch in die Nase - menschliches Blut. Frisch, warm, salzig und doch süß.
Unwillkürlich blieb ich stehen und schnupperte. Da hörte ich schon die Stimme des dazugehörigen Menschen: "So ein Mist aber auch..."
Ich wirbelte herum und erblickte eine Person, die offensichtlich mit dem Fahrrad gestürzt war. Die Gestalt hockte auf der Erde und krempelte sich gerade das Hosenbein hoch, um die Wunde an seinem Knie zu begutachten, aus der das Blut quoll.
Ich hatte schon lange kein frisches Menschenblut mehr gerochen und so zog es mich wie ein Magnet immer näher an den Mann heran. Bis ich plötzlich hinter ihm stand. Ich atmete tief ein und sog den köstlichen Geruch mit jeder Nuance in mich auf.
Der Mann schien mich bemerkt zu haben, denn er drehte seinen Kopf und sah zu mir auf. "Oh, hey...hallo.", begrüßte er mich. Scheinbar war er auch mit dem Kopf
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