Zeit der Raben - Ein Inspektor-Rutledge-Roman
Channing wandte sich ab und ging, während Rutledge der Oberschwester in das Krankenzimmer folgte, in dem die Ärzte Hensley von den übrigen Patienten isoliert hatten.
Hamish sagte: »Es besteht keine Veranlassung, ihn zu schikanieren. Wenn er das Mädchen nicht getötet hat.«
Wir werden es ja sehen, antwortete Rutledge stumm.
Der Constable wirkte tatsächlich sehr krank. Sein Gesicht war stark gerötet, und seine Hände bewegten sich unruhig auf der Bettdecke. Seine Augen glänzten unnatürlich, und als sich sein Blick auf Rutledge richtete, sagte er: »Mein Gott, ich habe solche Angst vor dem Sterben.«
Rutledge setzte sich an sein Bett und sagte: »Ich wüsste nicht, weshalb Sie sterben sollten.«
Hensley schüttelte heftig den Kopf. »Ich kann es fühlen. Das Fieber zehrt mich auf. Sie haben die Wunde schon zweimal gereinigt, und es hat nicht geholfen. Sie fürchten, die Infektion hätte auf mein Blut übergegriffen.« Er holte tief Luft und versuchte sein Leid zu bezwingen. »Ich hoffe, Sie bringen mir gute Nachrichten.«
»Gewissermaßen. In Ihrer Abwesenheit«, sagte Rutledge, »hat sich in Dudlington einiges getan. Wir haben eine Leiche in Frith’s Wood gefunden.«
»Wusste ich es doch!«, sagte der Kranke und raffte sich auf. »Ich habe von Anfang an gewusst, dass diese Letteridge, das Miststück, sie umgebracht hat. Wo haben Sie Emma gefunden? Ich habe das Wäldchen abgesucht, bis mir derart vor diesem Ort gegraut hat, dass es mich fast um den Verstand gebracht hätte, aber ich konnte mich einfach nicht von dort fernhalten.«
Er hatte erstmals zugegeben, dass er in dem Wäldchen gewesen war. Rutledge versuchte ihm zu beschreiben, wo er die Entdeckung gemacht hatte.
Hensley sagte: »Da habe ich auch nachgesehen, mehr als einmal. Aber nicht so tief wie Sie.«
»Sie hatten keine Mistgabel bei sich.«
Hensley zuckte zusammen. »Die arme Emma. So hätte sie nicht sterben dürfen.«
»Wie hätte sie nicht sterben dürfen?«
»Allein in diesem verfluchten Wäldchen. Sie hatte solche Angst davor, verstehen Sie? Ihre Großmutter hat ihr Geschichten darüber erzählt, dass sie im Winter dort Lichter gesehen hat.«
Er zitterte und zog seine Decke höher. »Ich erfriere und verbrenne zugleich. Sie haben mir inzwischen eine Wärmflasche für die Füße gegeben. Letzte Nacht habe ich mir Sorgen gemacht, als meine Füße kalt geworden sind. Das ist das erste Anzeichen dafür, dass man stirbt.«
Rutledge sagte: »Wir haben eine Leiche im Wald gefunden, aber ich habe nicht gesagt, dass es Emmas Leiche war.«
Hensley hörte abrupt auf, an dem Bettzeug herumzuzupfen, und starrte ihn an. »Nicht Emma? Aber ich dachte …« Seine Augen glitzerten im Schein der Tischlampe. Er sagte bekümmert: »Das ist dieses Fieber, nichts, was ich höre, hat Hand und Fuß.«
»Es war die Leiche eines Mannes. Ich habe etliche sehr gute Gründe für die Annahme, dass es sich um Harry Ellison handeln könnte.«
»Emmas Großvater? Der liegt in London begraben.«
»Nein, das glaube ich nicht. Ich werde morgen veranlassen, dass der Yard es überprüft, aber ich rechne nicht damit, dass man sein Grab dort finden wird.«
»Aber den kann Grace Letteridge doch gar nicht umgebracht haben. Als er gestorben ist, war sie noch nicht geboren.«
»Ich glaube, Mary Ellison könnte es getan haben. Dann hat sie ihn in dem Wäldchen begraben und sich die Geschichte mit dem durchgegangenen Pferd in London ausgedacht.«
»Gott sei uns gnädig!« Hensley ließ sich auf das Bett zurücksinken und schlug sich eine Hand vor die Augen.
Die Oberschwester streckte ihren Kopf zur Tür herein. »Ermüden Sie den Patienten bitte nicht, Inspector. Er braucht all seine Kraft.«
»Ja, Schwester, danke.« Als die Tür wieder geschlossen war, sagte Rutledge: »Ist Frank Keating in Wirklichkeit ein Mann namens Sandridge?«
Hensley zog seine Hand von den Augen und sah Rutledge an. »Er ist es nicht, darauf gebe ich Ihnen mein Wort.«
Aber wenn Hensley mit Sandridge unter einer Decke gesteckt hatte, dann war nicht anzunehmen, dass er die Verbindung zugeben würde.
»Was ist in London vorgefallen, Hensley? Haben Sie weggeschaut, als Barstows Geschäftsgebäude angezündet wurde?«
Hensley rutschte unruhig herum. »Sie haben mich belogen. Sie glauben, ich sterbe, und Sie sind der Meinung, dass ich gestehen sollte. Was ist, wenn das alles nur ein Trick ist und ich wieder auf die Beine komme? Ich habe Emma Mason nicht getötet, so viel sage ich Ihnen.
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