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Zeit der Raben - Ein Inspektor-Rutledge-Roman

Titel: Zeit der Raben - Ein Inspektor-Rutledge-Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Charles Todd Ursula Gnade
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gesäubert hatte, überquerte er die Straße, blieb vor dem Haus von Emma Masons Großmutter stehen und klopfte an die Tür.
    Diesmal machte ihm eine ältere Frau auf. Sie war groß und attraktiv, aber als er mit ihr sprach und sich vorstellte, beugte sie sich vor, als sei sie nicht sicher, was er gesagt hatte.
    Er wiederholte seinen Namen und fragte, ob er eintreten dürfe. Sie ließ ihn mit sichtlichem Unwillen ein.
    Das Wohnzimmer war feminin eingerichtet, mit Spitzengardinen, gehäkelten Schonern auf den Arm- und Rückenlehnen der Sessel und einem langen Spitzenläufer auf dem Tisch neben dem Klavier. Dort standen Fotografien, darunter eine von
einem jungen Mädchen, das ein schwarz-weißes Kätzchen im Arm hielt und lächelnd in die Kamera aufblickte. Sogar im Alter von circa zehn Jahren war sie schon recht hübsch, mit ihren ausgeprägten Wangenknochen und der hohen Stirn, die von Haar umrahmt wurde, das dunkel, dicht und gelockt zu sein schien.
    Mrs. Ellison bot ihm einen Stuhl an und setzte sich. Im ausdruckslosen Tonfall derer, die fast taub sind, fragte sie ihn, worum es ginge.
    »Ich beschäftige mich mit dem - Missgeschick, das Constable Hensley in Frith’s Wood widerfahren ist«, sagte er mit kräftiger Stimme, damit sie ihn hören konnte.
    »Ich bin nicht taub, junger Mann«, gab sie zurück, und er lächelte.
    »Nein, anscheinend nicht.«
    »Es bereitet mir nur manchmal Schwierigkeiten, die Worte klar und deutlich zu verstehen. Sie so zusammenzufügen, dass sie einen Sinn ergeben.«
    »Kennen Sie Constable Hensley gut?«
    »Wir sind Nachbarn. Ich lade ihn nicht zum Essen ein.«
    »Ist er ein guter Polizist?«
    »Woher soll ich das wissen?« Ihre Lippen kniffen sich zusammen, als wollte sie zurückhalten, was sie sonst noch hätte sagen können.
    »Er hat das Verschwinden Ihrer Enkelin untersucht. Und er konnte sie nicht finden«, rief er ihr behutsam ins Gedächtnis zurück.
    »Ich bin den Gedanken nie losgeworden, dass sie sich auf die Suche nach ihrer Mutter gemacht hat, meiner Tochter. Als ihr Mann gestorben ist - Emmas Vater -, wollte sie nichts mehr mit dem Kind zu tun haben. Ich vermute, für sie war es eine zu schmerzliche Erinnerung an das verlorene Glück. Um die Wahrheit zu sagen, ich weiß nicht, was aus ihr geworden ist. In all den Jahren hat sie mir nie mehr geschrieben. Noch nicht einmal,
um sich danach zu erkundigen, wie es der kleinen Emma geht.« Ihr Gesicht verzog sich gequält, doch sie fing sich wieder und sagte mit halbwegs fester Stimme: »Beatrice war auch hübsch, und das ist ihr zum Verhängnis geworden. Traurig, nicht wahr, wie das Blut immer wieder hervorbricht.«
    Als er sie bat, ihm Emmas Zimmer zu zeigen, zog Mrs. Ellison missbilligend die Augenbrauen hoch. »Das hat nichts mit Constable Hensleys bedauerlichem Unfall zu tun!«
    »Sie ist nicht hier«, soufflierte er ihr. »Es kann also nicht die Rede von einer Verletzung ihrer Privatsphäre sein. Aber mir könnte es dabei helfen, eine Vorstellung von ihren Interessen zu bekommen.«
    »Sogar dieser Inspector Abbot aus Letherington hat ihre Privatsphäre respektiert«, gab Mrs. Ellison zurück. »Ich wüsste nicht, was Ihnen das nutzen sollte. Es sei denn, es handelt sich um Voyeurismus.«
    In seiner Verärgerung sagte er mit einer gewissen Schärfe: »Sie können sich nicht anmaßen, darüber zu urteilen, was in einer polizeilichen Ermittlung wichtig ist. Ich kann mir in Northampton einen Durchsuchungsbefehl ausstellen lassen. Das wäre weitaus unerfreulicher als fünf Minuten im Zimmer Ihrer Enkelin.«
    »Wie Sie meinen.« Sie stand auf und führte ihn zur Treppe. Ihr Rücken war steif vor Zorn, als sie vor ihm die Stufen hinaufstieg.
    Das Zimmer des Mädchens war im vorderen Teil des Hauses gelegen, und er konnte sehen, dass man von einem der Fenster aus, dem, das der Frisierkommode am nächsten lag, direkt in Hensleys Schlafzimmer auf der anderen Straßenseite blickte.

11.
    Die Wände von Emma Masons Zimmer waren blassgelb gestrichen, mit cremeweißen Vorhängen an den Fenstern und einer gemusterten Tagesdecke im selben Farbton auf dem Bett. Die Frisierkommode zierten Rüschen, die, passend zu den Kissen auf den beiden Stühlen, aus gelb und weiß bedrucktem Kattun bestanden. Der Teppich wies ein Blumenmuster auf, leuchtendes Beige, Elfenbein und Gelb auf einem blassgrünen Untergrund. Diese Farben erzeugten die Wirkung, als strömte selbst an einem so grauen Tag die Sonne ins Zimmer, obwohl die Lampen nicht

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