Zeit der Raben - Ein Inspektor-Rutledge-Roman
wie mit Öl.«
Sie setzte sich in einen Sessel und sagte: »Also, worum geht es? Sie können es kaum erwarten, Fragen zu stellen, stimmt’s?«
»Ich habe versucht, einige Dinge zu einem Bild zusammenzusetzen, die ich bei meinen Erkundigungen nach Hensley und Emma Mason erfahren habe, und mittlerweile stelle ich auch Fragen zu Emmas Mutter. Führt Beatrice Ellison Mason ein luxuriöses Leben in Liège, was meinen Sie? Oder ist sie 1914 beim Angriff der Deutschen umgekommen?«
»Liège? Ich habe nie etwas davon gehört, dass Beatrice nach
Liège gezogen ist. Warum fragen Sie mich danach? Sie wissen doch, dass der Kontakt schon vor langer Zeit abgerissen ist. Sonst hätte ich gewusst, wo ich Emma suchen sollte. Was hat Mary Ellison dazu zu sagen?«
»Sie glaubt, dass ihre Tochter nach Paris gegangen ist, dort geheiratet hat und kurz darauf nach Belgien übergesiedelt ist.«
»Und was wollen Sie dann von mir?«
»Ich glaube, Mrs. Ellison vertuscht schon seit geraumer Zeit die Wahrheit, und die sieht so aus, dass Beatrice tot ist.« Er selbst hatte begonnen, das als Tatsache zu akzeptieren. »Hat Emma jemals die Vermutung gehabt, sie könnte tot sein?«
»Natürlich nicht. Sie war der festen Überzeugung, dass ihre Mutter in London lebt. Das hat doch schließlich alle Welt - ich meine, jeder in der kleinen Welt von Dudlington - geglaubt.« Sie stellte ihre Teetasse ab und sah den Polizisten versonnen an. »Wollen Sie damit andeuten, Beatrice hätte sich umgebracht? Sie hätte sich einem Leben ohne ihren Mann nicht gewachsen gesehen und sich, nachdem sie dafür gesorgt hatte, dass Emmas Zukunft gesichert ist, etwas Grässliches angetan?«
Mary Ellison würde niemals zugeben, dass ihre Tochter eine Selbstmörderin war - so etwas kam in angesehenen Familien nicht vor, und ihrem Stolz war eher damit gedient, wenn die Leute an irgendeine plausible Geschichte glaubten, solange sie bloß nicht hinter die Wahrheit kamen.
»Meine Freundin in Paris schreibt …«
»Es muss kein Selbstmord gewesen sein«, sagte Hamish. »Prostitution genügt auch schon.«
Gesellschaftlicher Selbstmord, jedenfalls in den Augen ihrer Mitmenschen.
»Vielleicht hat Mrs. Ellison deshalb die Schulden in der Pension bezahlt, als Mrs. Greer geschrieben hat, um ihr Geld zu verlangen. Es könnte eine Form von versteckter Erpressung gewesen sein.«
»Welche Schulden?«, fragte Grace Letteridge. »Und wer hat wen erpresst?«
Er hatte Hamish laut geantwortet und verfluchte sich dafür. »Niemand. Ich habe nur Vermutungen zu etwas angestellt, was Inspector Cain in den Unterlagen des früheren Inspector Abbot entdeckt hat. Eine Adresse von Beatrice Mason, unter der sie bis 1904 zu erreichen war. Aber als Mrs. Ellison diese Anschrift zwei Jahre später erfahren hat, war sie nutzlos.« Er wechselte eilig das Thema. »Erinnern Sie sich noch an Abbot?«
»Selbstverständlich. Wir haben ihn etwa so oft gesehen wie wir Inspector Cain zu sehen bekommen. Er hat Dudlington von Zeit zu Zeit einen kurzen Besuch abgestattet und bei den Ladenbesitzern, beim Pfarrer und beim Arzt vorbeigeschaut. Die Ohren offen gehalten, wie er es genannt hat.«
»Was für einen Eindruck hatten Sie von ihm als Polizist?«
»Er war verheerend, wenn es um etwas Ernstes wie Emmas Verschwinden ging. Es war ihm unbegreiflich, warum sie ein behagliches Leben an der Seite ihrer liebenden Großmutter aufgegeben hatte, um nach London auszureißen. Er stand kurz vor seiner Pensionierung, seine Ansichten über Frauen waren altmodisch, und er war nicht bereit zu glauben, dass eine Harkness etwas tun könnte, was auch nur im Entferntesten skandalös ist. Die Befragungen hat er größtenteils Constable Hensley überlassen. Mrs. Ellison war außer sich, und es war nicht gerade hilfreich, dass Inspector Abbot ihr zugesetzt und Emmas Zimmer regelrecht auseinandergenommen hat, um herauszufinden, wie sie es schaffen wollte, nach London zu kommen. Niemand hat sich freiwillig gemeldet und zugegeben, dass er Emma bei der Flucht behilflich war, und bei der gerichtlichen Untersuchung haben die Geschworenen schließlich einen oder mehrere unbekannte Täter eines Gewaltverbrechens für schuldig erkannt. Das hat Mrs. Ellison noch mehr aus der Fassung gebracht, und ich habe die Geduld mit Constable Hensley verloren und ihn als inkompetent und dumm beschimpft. Und dann habe ich angefangen,
ihn zu verdächtigen. Ich konnte einfach nicht glauben, dass ein Polizist, der seine Ausbildung in London absolviert
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