Zeit der Raben - Ein Inspektor-Rutledge-Roman
mir? Ich habe Ihnen nichts mehr zu sagen.«
»Ich bin gekommen, um mich mit einem Ihrer Gäste zu unterhalten. Mrs. Channing. Gibt es ein Gesellschaftszimmer, wo wir ungestört miteinander reden können?«
»Unterstehen Sie sich, sie nervös zu machen«, sagte Keating feindselig. »Nicht unter meinem Dach.«
Diese Fürsorglichkeit überraschte Rutledge, und er sagte: »Ich bin gekommen, weil ich sie um einen Gefallen bitten wollte, und nicht, um sie zu schikanieren.«
Hamish sagte: »Sie hat ihn betört.«
Keating ging, um ihr Bescheid zu sagen, und nach ein paar Minuten kam er wieder, um Rutledge in ein kleines, hübsches Zimmer zu führen, das in Cremeweiß und Gold gehalten war, als hätte sich Keating bei der Renovierung für seine Zwecke an der früheren Farbgebung orientiert.
Meredith Channing erwartete ihn bereits, hatte sich aber nicht hingesetzt.
»Ist etwas vorgefallen?«, fragte sie besorgt und bemühte sich, Anteilnahme zu zeigen, ohne Keating, der in Hörweite stand,
etwas in die Hand zu geben, worüber er am Tresen tuscheln konnte.
»Ich brauche jemanden, dem ich vertrauen kann, um eine Theorie auf die Probe zu stellen.«
»Ah.« Sie nickte Keating zu, um sich bei ihm zu bedanken und ihn gleichzeitig fortzuschicken.
Der Gastwirt entfernte sich so widerwillig, dass Rutledge ihm durchaus zugetraut hätte, an der Tür zu lauschen.
»Ich wusste gar nicht, dass Sie mir vertrauen«, sagte sie mit einem ironischen Lächeln zu Rutledge. »Sie versetzen mich immer wieder in Erstaunen.«
Er besaß den Anstand zu erröten, bevor er lächelnd sagte: »Das, was ich auf die Probe stellen möchte, sind Ihre Sehkraft und Ihre Aufrichtigkeit.«
»Dann sagen Sie mir, was Sie brauchen.«
»Würden Sie vorher mitkommen und gemeinsam mit mir Mr. Towson, dem Pfarrer, einen Besuch abstatten? Er hat einen schweren Sturz hinter sich, und ich glaube, Sie könnten ihn ein wenig aufheitern.«
Er wies mit dem Kopf auf die Tür. Sie folgte seiner Blickrichtung und erkannte seinen Verdacht.
»Selbstverständlich. Lassen Sie mich nur schnell meinen Mantel holen, Inspector. Ich bin gleich wieder da.«
Er wartete in der Eingangshalle, und nach kurzer Zeit kam sie in einem warmen burgunderfarbenen Mantel und einem sehr kleidsamen Hut zurück. Er dachte an seine Schwester Frances, die Hüte liebte und sie mit Anmut und Eleganz zu tragen verstand.
Sie lief mit ihm den Hügel zur Whitby Lane hinunter und dann zur Church Street. Als sie außer Hörweite des Gasthauses waren, sagte sie: »Wollen Sie tatsächlich, dass ich den Pfarrer besuche? Ich kann nicht recht glauben, dass Sie Zeit für wohltätige Werke haben.«
»Sie werden nur ein paar Minuten mit ihm verbringen, und
anschließend möchte ich Sie zu einem Fenster auf seinem Dachboden führen. Ich möchte, dass Sie dort warten, bis ich Frith’s Wood erreicht habe, und dann mein Vorankommen verfolgen. Hinterher werde ich Sie, je nachdem, was Sie mir zu berichten haben, zu einem anderen Posten führen und Sie dort noch einmal um denselben Gefallen bitten.«
»Warum ausgerechnet ich?«
»Weil Sie, soweit ich weiß, mit niemandem hier in Verbindung stehen und daher keinen Grund haben, mich zu belügen. Ich kann also davon ausgehen, dass Sie mir sagen, was Sie wirklich sehen. Genau diese Objektivität brauche ich.«
Sie lachte. »Ian - ich vermute, wenn ich vom Yard dienstverpflichtet werde, darf ich Sie Ian nennen -, was soll ich denn von dort aus sehen?«
»Warten Sie noch ein wenig, bis ich Ihnen die Kulisse gezeigt habe. Dann sollte es sehr deutlich zu erkennen sein.«
Sie liefen schweigend weiter. Sie hielt mühelos mit ihm Schritt, eine Frau, die unabhängig und selbstsicher war - und reichlich verwirrend.
Als sie in die Church Street einbogen, sagte sie: »Oh, was für eine interessante Kirche!«
»Als Belohnung für gutes Benehmen zeige ich Ihnen die Decke, ehe ich Sie wieder ins Gasthaus bringe. Übrigens, bevor ich es vergesse, halten Sie Keating für vertrauenswürdig? Im Moment sind Sie der einzige Gast. Und seine Bedienung pflegt derzeit den Pfarrer.«
»Ich glaube, ich habe nichts zu befürchten. Weder meine Tugend noch mein Leben sind bedroht. Was wissen Sie über Keatings Vorgeschichte? Man begegnet selten einem Gastwirt, der so mürrisch mit seinen Gästen umgeht, als sei es ihm das Liebste, wenn sie gar nicht erst kämen.«
»Ich weiß, offen gesagt, so gut wie nichts über ihn. Er scheint das Oaks gerade deshalb zu mögen, weil es im Gegensatz
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