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Zeit der Raben - Ein Inspektor-Rutledge-Roman

Titel: Zeit der Raben - Ein Inspektor-Rutledge-Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Charles Todd Ursula Gnade
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stehen blieb, konnte er nicht erkennen, wer es war.
    Er war geneigt rüberzugehen und nachzusehen. Aber es gab auch noch eine andere Möglichkeit.
    Er schlüpfte in seine Schuhe und hüllte sich in seinen Mantel, band den Gürtel und lief die Treppe hinunter und auf die Straße hinaus.
    Er bezog einen günstigen Standort, von dem aus er das Fenster
in Emmas Zimmer gerade noch sehen konnte und den Rest des dunklen Hauses im Blickfeld hatte.
    Als das Licht endlich ausging, wartete er geduldig.
    Im Fenster über der Treppe war einen Moment lang Licht zu sehen und dann warf die Lampe wieder einen hellen Schein hinter zwei anderen Fenstern. Etwa eine Minute später wurde das Licht gelöscht.
    Mrs. Ellison war im Zimmer ihrer Enkelin gewesen und endlich in ihr eigenes Bett zurückgekehrt.
    Er war nicht allein gewesen mit seiner Schlaflosigkeit.
    Verlustgefühle, dachte Rutledge, traten in vielen Formen auf. Und das war eine davon.

23.
    Auch Meredith Channing hatte das Einschlafen Schwierigkeiten bereitet.
    Als das Kreischen von Metall, das sich an Stein schabte, sie an die Haustür gelockt hatte, war sie erstarrt stehen geblieben.
    Rutledge hatte im Schatten einer zerstörten Mauer gelegen, einen Arm weit von sich gestreckt, um Halt zu finden, den anderen unter seinem Körper eingezwängt.
    Und dann wurden überall Türen aufgerissen, als der Lastwagen schleunigst weiterfuhr, und eine junge Frau war aus einem Haus geeilt, um den Mann anzuschreien, der auf dem Boden lag.
    Es war, als sähe sie diese Bilder in einem Traum, dachte sie, nur dass die Geräusche wirklich vorhanden waren, die Rufe und Schreie und dieses unerträgliche Schaben von Metall an Stein.
    Dann war der Arzt herbeigelaufen, doch sie hatte nicht gewusst, wer er war, und er hatte die Dinge in die Hand genommen und die wütende Frau zum Schweigen gebracht, während sich Rutledge mühsam auf ein Knie gezogen hatte und dann wacklig aufgestanden war.
    In dem Moment war sie zur Besinnung gekommen und hatte gewusst, was getan werden musste.
    Daher hatte sie dem Arzt etwas zugerufen, und die Frau zwei Türen weiter hatte sich neben sie gestellt und über das Abendessen gesprochen und sie gefragt, was auf Erden sich dieser
Fahrer wohl dabei dächte, einen solchen Schaden anzurichten und dann zu fliehen.
    Als Rutledge das Haus erreicht hatte, hatte sie den Kratzer auf seinem Wangenknochen und die blutende Wunde an seinem Bein gesehen und seine verschrammten Hände, an denen die weiche Gartenerde klebte.
    Wundstarrkrampf, hatte die Frau gesagt, die Mrs. Melford hieß, und sie selbst war in die Küche geeilt, um Wasser zu erhitzen und kräftige Seife zu suchen. Schließlich war sie ausgebildet und wusste, was in Notfällen zu tun war. Aber entscheidend war, dass sie sich auf diese Weise beschäftigen konnte.
    Und die ganze Zeit über hatte das Herz in ihrer Brust so dumpf wie eine Trommel geschlagen.
    Es war noch einmal gut gegangen, dachte sie. Aber er war verflucht knapp davongekommen.
    Erst später, als sie sich bei ihm eingehängt hatte und sie durch die winterliche Dunkelheit liefen, war ihr klar geworden, dass sie aufgehört hatte, ihn als Polizisten anzusehen.
    Man schadete sich nur damit, Menschen näher kennenzulernen, dachte sie. Es war besser, sie auf Armeslänge von sich zu halten, denn dann war es leichter, viel leichter, untätig dazustehen und sie sterben zu lassen.
    Das hatte sie im Krieg gelernt.
     
    Rutledge schreckte aus dem Schlaf auf und tastete nach seiner Uhr, die auf dem Nachttisch lag. Es war schon spät, schon halb acht. Er stöhnte. Wie viele Stunden hatte er geschlafen? Bestenfalls zwei oder drei. Er fühlte sich, als hätte er kein Auge zugetan.
    Er trat behutsam auf und stellte zu seiner Erleichterung fest, dass er weniger Schmerzen hatte als im Lauf der Nacht.
    Hamish, dessen Stimme heute Morgen gedämpft klang, sagte: »Ja, aber ein besonders schöner Anblick ist es nicht.«

    Das stimmte. Die Schwellung war noch deutlich zu erkennen, und die vielfältigen Farbtöne waren der Palette eines Künstlers würdig. Aber er konnte den Fuß mit seinem gesamten Körpergewicht belasten, nachdem er seine Schuhe zugeschnürt hatte. Die übrigen blauen Flecken stimmten eine Klage an, die jedoch nicht mehr ganz so lautstark war. Aber ihn plagten seine steifen Gliedmaßen und erst nach gut zehn Minuten Bewegung wurde es etwas besser.
    Er rasierte sich hastig und erschien mit nur zwei Minuten Verspätung bei Mrs. Melford zum Frühstück. Er musste

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