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Zeit der Raubtiere

Zeit der Raubtiere

Titel: Zeit der Raubtiere Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Liza Klaussmann
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›Mondscheinsonate‹ für die Strümpfe gespielt.«
    »Genau, genau!« Nick fuhr sich mit der Hand durchs Haar. »Ich wusste nicht mehr, was wir damals gespielt haben.«
    »Es war die ›Mondscheinsonate‹«, versicherte ihr Helena. »Und dann habe ich dir mit deinem Augenbrauenstift eine Naht aufs Bein gemalt, aber ziemlich krakelig.«
    »Ja, und die ging nur wahnsinnig schwer wieder weg.« Nick zündete sich noch eine Zigarette an. Der Wind drückte gegen die Fensterscheibe.
    »Hast du getrunken, Süße?«
    »Ja, einen Martini oder drei.« Nick lachte, aber es klang eher wie ein quietschendes Stück Kreide an einer Tafel. »Entschuldige, meine Süße, ich wollte einfach über irgendwas von früher mit dir reden.«
    »Und es geht dir wirklich gut?«
    »Ja, ja. Ich muss jetzt auflegen. Wiedersehen, Helena.«
    »Wiedersehen, Nick. Schreib bald mal!«
    Nick legte den Hörer auf die Gabel. »Wiedersehen«, sagte sie zu dem stillen Raum und dem hinter der Esche heulenden Wind.
    Am Abend hatte sie über Kopfschmerzen geklagt. Sie war früh zu Bett gegangen und hatte sich in den Schlaf geweint, während Hughes allein in der Küche Suppe aß. Doch als er am nächsten Abend vom Büro zurückkam, war sie vorbereitet.
    Sie hatte ihr rotes Shantung-Kleid angezogen, dasselbe, das sie zu Kriegszeiten im 21 Club getragen hatte, und sie war bei einem Friseur am Harvard Square gewesen. Sie machte Steaks und Kartoffelpüree und grüne Bohnen mit Pfeffer. Sie mischte Martinis, und als ihr Mann durch die Tür trat, stand der beschlagene Krug schon auf der Marmorplatte der Bar.
    Sie ging ihm in der Diele entgegen und nahm ihm die Aktentasche ab.
    »Geht’s dir besser?«, fragte er und drückte ihr einen Kuss auf die Stirn.
    »Viel besser. Geh schon mal ins Wohnzimmer. Ich habe Cocktails gemacht.«
    Hughes sah sie an, ihre Frisur, das Kleid. »Gibt es etwas zu feiern?«
    »Und ob!«, antwortete Nick und verschwand durchs Wohnzimmer in die Bar. Seine Aktentasche war bleischwer.
    Ihre Hand zitterte, als sie die Martinis einschenkte, und sie musste die Tropfen abstreifen, die an den Gläsern herabliefen. Sie stellte die Drinks und Oliven auf ein Silbertablett. Dann trat sie einen Schritt zurück, betrachtete alles und staunte darüber, dass etwas so sauber aussehen und doch so giftig sein konnte.
    Sie strich sich die Frisur glatt, nahm das Tablett und durchquerte vorsichtig das lange Gartenzimmer. Ihre Absätze klapperten in einem strengen Rhythmus auf den Bodenfliesen. Als sie das Wohnzimmer betrat, saß Hughes in seinem blauen Ohrensessel und blickte sie erwartungsvoll an.
    Nick stellte das Tablett behutsam auf den Beistelltisch neben ihm, reichte ihm ein Glas und nahm sich das andere.
    »Hughes, ich habe beschlossen …« Sie stockte. »Ich glaube, wir sollten ein Kind bekommen. Ich möchte ein Baby.«
    Hughes stellte sein Glas ab, stand auf und nahm sie in die Arme.
    »Liebling«, flüsterte er in ihr Haar, das beißend nach Haarspray roch. »Das nenne ich wirklich einen Grund zum Feiern!«
    »Ja«, sagte Nick.
    »Ich wusste, dass du irgendwann eins willst. Ich wusste, dass du deine Meinung ändern und auch eines wollen würdest.«
    In diesem Moment zerbrach etwas Hartes, Reines, das in ihr gewesen war, ein Traum, vielleicht am Tag ihrer Hochzeit im Mädchenzimmer ihres Elternhauses entstanden und zerflossen in ihrem heißen Blut.

[home]
    Daisy
    Juni 1959
    J ener Sommer blieb für Daisy immer der Sommer, in dem sie die Leiche fanden. Und der Sommer, in dem sie zwölf und, neben dem alten Eiskeller, in dem jetzt die rostigen Fahrräder standen, zum ersten Mal geküsst wurde. Aber dieses erste Flimmern von Haut an Haut war verblasst im Vergleich mit der Erregung, die der Tod in ihr hervorrief. Als sie darauf stießen, hinter den Tennisplätzen, wussten sie erst nicht, was es war. Ein großer, unter einer schmutzigen Reisedecke verborgener Klumpen, aus dem etwas hervorragte, das wie eine Qualle aussah.
    Begonnen hatte es wie in jedem Juni, an den sie sich erinnern konnte. Zwei Tage nach ihrem Geburtstag hatte ihre Mutter den Kombi bepackt und war mit ihr die zwei Stunden zur Fähre in Woods Hole gefahren. Sie stritten sich über den Radiosender. The Clovers fand ihre Mutter in Ordnung, weil sie wie richtige Musik klängen. Aber sie verstehe einfach nicht, sagte sie zu Daisy, warum es keine poetische Musik mehr gebe. Und sie hasse das Wort »Puppe«. Daisy grinste still vor sich hin.
    Auf dem Schiff kaufte ihre Mutter einen Kaffee

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