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Zeit der Sternschnuppen

Zeit der Sternschnuppen

Titel: Zeit der Sternschnuppen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Herbert Ziergiebel
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vergiftet! Eine irrsinnige Angst schnürte mir die Kehle zu. Ich hielt den Atem an, blickte entsetzt auf das leblose Tier. Dann hielt ich es nicht mehr aus, ich mußte Luft schöpfen. »Raus«, röchelte ich, »ich will ‘raus!«
    Bleierne Müdigkeit lähmte meine Stimme, kroch mir in die Glieder. Ich vermochte nicht mehr zu stehen, hatte das Verlangen nach Ruhe und Schlaf. Halb gelähmt, setzte ich mich neben Waldi. Sein Bild verschwamm vor meinen Augen. Traumhaft sah ich Manik Maya vor mir, die brennenden Kerzen, glaubte Heins Stimme zu hören, wie er pastoral ausrief: »Ihr Kleingläubigen! Es gibt kein Stehenbleiben. Einst wird der Mensch das All durchstreifen und Besitz von ihm ergreifen, so, wie wir die Ozeane bezwungen haben…« – Bilder wie durch eine Nebelwand. Dann erlosch auch die letzte Erinnerung.
    Unendlich langsam schlich eine Wahrnehmung durch mein Hirn. Es war die erregende Entdeckung, daß ich atmete, lebte. Was war geschehen? Mir erging es wie nach einem langen, tiefen Schlaf, der von lang erwarteten und gewünschten Träumen begleitet war und aus dem man noch immer kein Erwachen findet. Ich hatte keine Ahnung von meinem Aufenthaltsort, wußte nicht, was um mich vorging, suchte mein eigenes Ich.
    Ringsum tiefe Finsternis.
Vergeblich bemühte ich mich, an etwas zu denken, mir etwas Faßbares, Begriffliches ins Gedächtnis zu rufen. Nur meine regelmäßigen Atemzüge glaubte ich wahrzunehmen. Das Seltsame aber war, daß mir das Traumhafte meines Zustandes bewußt wurde; ich gab mir alle Mühe, zu erwachen, aber es gelang mir nicht. Ich befand mich in einem Zustand von Somnambulismus, einem Mondsüchtigen ähnlich, der schlafend einem Instinkt folgt und scheinbar logische Handlungen vollzieht.
Später – wieviel Zeit mochte verflossen sein? – geschah etwas Merkwürdiges. Ich verspürte den unbezähmbaren Drang zu reden. Es war, als fragte mich jemand und erteilte mir den Befehl zu antworten. Kurz danach hörte ich meine eigene Stimme, hörte ich mich sagen: »Soviel mir bekannt ist, gibt es neun Planeten. Nur die Erde ist bewohnt… drei bis vier Milliarden Menschen auf dreißig Prozent Festland… ungefähr zwei Drittel Wasser… fünf Erdteile, einige hundert Völker, die verschiedene Sprachen sprechen…« Ich sprach seltsam fremd und akzentuiert.
Warum sagst du das? grübelte ich zwischen den Pausen und wunderte mich über den seltsamen Trieb, alles zu erläutern. Vor allem aber setzte mich mein ungewöhnliches Erinnerungsvermögen in Erstaunen. Zwar hatte ich in den vergangen Jahren über manches Wissensgebiet etwas gelesen, jedoch niemals so gelernt, daß ich es nicht mehr vergessen konnte. Normalerweise hätte ich für die meisten Zahlenangaben oder Ausdrücke in einem Lexikon nachschlagen müssen.
Woher kannte ich die zwanzig Aminosäuren, woher die Nukleinsäuren, vor allem Ribonukleinsäure und die Desoxyribonukleinsäure, die für die Synthese von Eiweißzellen erforderlich waren? Ich hatte zwar vor längerer Zeit einmal einen Vortrag darüber gehört, aber kaum etwas von diesen komplizierten Prozessen begriffen. Was faselte ich über den genetischen Code zusammen?
Es war erstaunlich, ich sprach über die menschliche Ernährung, redete über Kohlehydrate, sprach von Früchten, Gemüsen, Reis, Fetten, Vitaminen. Dabei kam ich zu seltsamen Formulierungen: »Unsere Hauptnahrung ist das Fleisch. Wir erhalten es durch Züchtung verschiedener Tiere, zum Beispiel Rinder, Ochsen, Pferde, Schweine, Schafe, Ziegen, Kaninchen, Hühner, Enten, Gänse und Fische. Wenn die Tiere groß und kräftig sind, töten wir sie technisch und verarbeiten ihr Fleisch zu Koteletts, Gulasch, Rouladen oder Wurst. Die kleinen Schweinchen brät man über Holzkohlenfeuer. Ein beliebtes Essen ist auch Bratkartoffeln mit Spiegelei… Neuerdings kann man Kalbfleisch auch künstlich herstellen, vorwiegend aus Polstermaterial für Autos, was wiederum aus Sojabohnen hergestellt wird… Mit unserer Zunge können wir den Geschmack bestimmen. Wir unterscheiden süß, sauer, bitter und salzig. Diese Reize werden elektrisch zum Gehirn geleitet und bilden dort einen Teil des Bewußtseins. Aus den Häuten der Tiere fertigt man Aktentaschen, Ledermäntel, Damenhandtaschen, Koffer, Schuhe und Würfelbecher…«
Ich verstummte. Eine innere Stimme sagte mir, daß ich jetzt schweigen mußte. Vielleicht hatte ich was Falsches oder Unwichtiges gesagt? Wer stellte mir die Fragen und zwang mich zu antworten? Meine Kehle war

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