Zeit der Sternschnuppen
an, als liefe ein Tonband rückwärts. Endlich hatte er seinen Gedächtnisspeicher abgetastet. »Die Begriffe Höflichkeit und Bescheidenheit sind mathematisch nicht erfaßbar«, erklärte er, »folglich sind sie unzweckmäßig und für die Forschung irrelevant.«
Dieser elektronische Homunkulus setzte mich immer mehr in Erstaunen und erweckte in mir so etwas wie Sympathie. Fast bedauerte ich, daß ihm seine Schöpfer ein Gesicht verwehrt hatten. Wäre er ihr Ebenbild gewesen? Brennende Neugier erfüllte mich, die geistigen Urheber dieser Wesen kennenzulernen. Soeben hatte Fritz uns demonstriert, wie fremd ihm Moralbegriffe waren. Durch Aul aber war ich im Namen des Kommandanten willkommen geheißen worden. War dies nicht ein Akt der Höflichkeit? Folglich mußte Me anders sein. Ich mußte herausfinden, wer oder was sich hinter den beiden Buchstaben verbarg.
Der Vater wollte wissen, worüber gesprochen wurde. Als Aul ihm von Fritzchens Widerspruchsgeist erzählte, nannte er diesen schmunzelnd einen Racha, was, wie Aul mir erläuterte, soviel wie Hohlkopf bedeutete. Unbewußt bewies der Gescholtene auf einmal Bescheidenheit. Er wippte mit dem Glashelm und bestätigte die Feststellung.
Wir durchquerten den Saal, blieben vor einer schimmernden Wand stehen. Ich kannte diese Art von Wänden bereits und verstand den Vater, als er sagte: »Sie sind Meister in der Täuschung, mein Sohn. Meine Tochter könnte dir erklären, wie man das Nichts sichtbar macht. Es sind hervorragende Gaukler, auf dem Marktplatz zu Mechala wäre ihnen der Beifall gewiß. Sie scheinen die Natur überlistet zu haben. Gehen wir also durch die Wand, ich will dir die Welt zeigen, die mir verblieben ist.«
Wir betraten einen mattbeleuchteten Vorraum. Es sah hier aus wie in einer Felsenhöhle und wäre nicht erwähnenswert gewesen, hätte ich nicht etwas entdeckt, was mir im ersten Augenblick absurd vorkam. Es war eine Holztür, schlecht und recht aus schmalen Brettern zusammengezimmert, durch Querleisten verbunden und mit Metallstiften vernagelt. In meinem Keller daheim gab es ähnliche Türen.
Irritiert trat ich näher, befühlte die ungehobelten Bretter. Holz, richtiges Holz. Diese einfache Tür versetzte mich mehr in Aufregung als alles bisher Gesehene und Erlebte. Ein grotesker Gegensatz zum Saal nebenan. Sie hatten den Mond wie Wühlmäuse ausgehöhlt, in ihm Energiezentren und Steuerungsanlagen installiert, ließen negative Wände aus Strahlungen entstehen – all dies fügte sich in das Bild ihrer Intelligenz. Diese Holztür aber war unbegreiflich. Abermals überzeugte ich mich, daß es wirklich Bretter waren, weiches Holz, das von einer Pappel stammen konnte.
Auls Vater bemerkte mein Interesse. »Die Tür habe ich selber gebaut«, erklärte er stolz, »ich wollte mich von den Gauklern abgrenzen. Folge mir, mein Sohn, es ist der Eingang zu meinem Paradies.« Er öffnete die Tür, die zu allem Überfluß auch noch knarrte.
Ehe wir jedoch weitergehen konnten, schreckte uns ein jammervolles Gekläff auf. Aul hatte recht behalten; Waldi war unserer Spur gefolgt. Selbst die scheinbare Wand konnte ihn nicht abhalten, zu uns vorzudringen. Er sprang herein, führte einen Freudentanz auf, als er mich erblickte. Verblüfft betrachtete Auls Vater den quirligen Gast. Aul war glücklich, als sie sah, welche Freude der Dackel bei ihrem Vater auslöste. »Es ist ein wunderschöner Tag für Vater«, sagte sie, und später: »Sag, gibt es viele Hunde auf der Erde?«
Ihre Fragen waren mitunter skurril, aber sie paßten in diese irrationale Welt. Ein ausgehöhlter Mond, nur einige hunderttausend Kilometer vom Jupiter entfernt, eine knarrende Holztür, ein Dackel, der sich liebestoll auf dem Boden wälzte und sich von einem zweieinhalbtausend Jahre alten Mann streicheln ließ. Waldi wurde mit einem Wortschwall überschüttet, den Hunde wohl in allen Sprachen verstehen. Er grunzte und quietschte vor Behagen. Ich sagte: »Ja, Aul, es gibt viele Hunde auf der Erde.«
»Es ist eine merkwürdige Rasse«, bemerkte ihr Vater, »ich besaß fünf Jagdhunde, jedoch groß und edel von Gestalt. Nie sah ich einen Hund mit derart krummen Beinen.«
»Es ist eine überzüchtete Rasse«, klärte ich ihn auf, »seine Vorläufer gab es bereits zweitausend Jahre vor Christus. Man hat immer die Krummbeinigsten miteinander gepaart, so entstand dieser Faxenmacher. Er ist eigenwillig, aber intelligent.«
»Bei allen Göttern«, murmelte der Alte, »er erinnert mich an ein Kaninchen. Wie
Weitere Kostenlose Bücher