Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Zeit der Sternschnuppen

Zeit der Sternschnuppen

Titel: Zeit der Sternschnuppen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Herbert Ziergiebel
Vom Netzwerk:
Landstraße, hörte irres Geschrei. Nach dem ersten Schock fand ich allmählich zu meiner alten Ruhe zurück. Vielleicht entschied sich jetzt wirklich das Sein oder Nichtsein; dann war es gut, daß ich mich in diesem wichtigen Augenblick nicht in einem Refugium außerhalb der Erde befand. Mochte diese Apokalypse enden, wie sie wollte, ich würde bei Johanna sein, und wenn ich den Weg zu Fuß zurücklegen müßte.
    Meine fatale Unwissenheit über die Ereignisse der letzten Monate regte mich zu den sinnlosesten Spekulationen an. Ich bereitete mich auf das Schlimmste vor. Als ich zurückblickte, lag über der Stadt eine rosafarbene Dunstwolke. Der Wind wehte Detonationen herüber. Über den Bäumen war jetzt Jupiter zu sehen, der hellste Stern am Himmel.
    Wenige Meter von mir entfernt ging heulend ein Geschoß nieder. Ich warf mich in den Schnee, erwartete eine Detonation. Es mußte ein Blindgänger sein. Über mir zerplatzten rote und weiße Leuchtkugeln. Signal zu einem Angriff? Waldi zitterte, verbarg seine lange Schnauze in meiner Achselhöhle. Alles fließt… Wohin? Das Ende? Ich stieß Verwünschungen und Flüche aus. Halb erfroren stand ich auf, entfernte mich aus der Nähe des Blindgängers, dachte: Wenn in diesem Konflikt die Bombe gezündet werden sollte, dann ist alles vorbei…
    Nur noch ein paar Schritte trennten mich von der Straße. Die Konsumgaststätte war hell erleuchtet. Verwirrt hielt ich inne, begriff das merkwürdige Bild nicht. Auf der Straße gegenüber der Gaststätte stand der Autobus.
    Ich bemerkte einige Männer und Frauen in närrischer Verkleidung, mit Pappnasen und bunten Mützen. Sie brannten bengalische Streichhölzer ab, warfen Knallerbsen auf den Asphalt. Einer von ihnen kam impertinent grinsend auf mich zu. Er schwankte. Ich erinnerte mich, ihn schon irgendwo einmal gesehen zu haben. Als er vor mir stand und mich interessiert in Augenschein nahm, rief er auf einmal lautstark: »Die Geister stehen auf! Leute, kommt mal alle her, der Weyden ist hier!«
    Die andern folgten der Aufforderung, umringten mich und riefen: »Prosit Neujahr!« Sie überschütteten mich mit Fragen, wollten wissen, wo ich die ganze Zeit gesteckt hätte. Ich stand verdattert da, verspürte eine unbändige Lust, genauso zu brüllen wie sie. Ein Traktorist bestand darauf, mit mir auf das neue Jahr anzustoßen; ich hatte Mühe, mich seinem Anerbieten zu entziehen.
    In meiner Nähe entzündete jemand Feuerwerkskörper. Es zischte und knallte, rote und gelbe Leuchtkugeln zerplatzten über uns, dazwischen gellte die Hupe des Busfahrers. Die Abfahrt des Autobusses ersparte mir Ausreden und Lügen.
    Ich habe mich später oft gefragt, was diese Kurzschlußreaktion in mir ausgelöst haben mochte. Meine lange Abwesenheit, das Gespräch mit Me und das unglückliche Zusammentreffen mit dem Jahresbeginn waren wohl schuld daran. Wie hätte ich zu dieser Stunde auch an eine Silvesterknallerei denken können? Die Gefahr eines nuklearen Krieges blieb eine Realität unseres Zeitalters. Mit der Bombe leben – auch in der Welt von morgen? Einmal mußte der teuflische Spuk von der Erde verbannt werden – schließlich waren die Menschen auch mit der Pest, der Cholera und anderen Epidemien fertig geworden…
    Auf jeden Fall war meine Verirrung Anlaß genug, Aul und Me im stillen um Verzeihung zu bitten. Jede voreilige und unüberlegte Schlußfolgerung ist nun einmal von Übel.
    Im Autobus war es warm. Der Dackel lag zusammengerollt auf meinem Schoß. Er schnupperte unaufhörlich, witterte den widerlichen Fusel, den hinter uns einige junge Burschen tranken. Sie redeten so laut, daß jedes Wort zu verstehen war. Es ging um zwei Mädchen, bei denen sie die Silvesterfeier fortsetzen wollten. Ihr Gerede und die ganze Umgebung kamen mir seltsam vor. Es wollte mir nicht in den Kopf, daß nun wieder alles so war wie früher. Monatelang hatte ich von diesem Wiedersehen geträumt, nun waren die ersten, die ich traf, Betrunkene. Alles war viel alltäglicher, als es sich in der Ferne mit meinen romantischen Erinnerungen verbunden hatte.
    Das so oft ersehnte »Die Erde hat mich wieder« war nur noch komisch.
Einer der jungen Burschen kam auf mich zu, nannte mich »Meister« und wollte mich nötigen, von seinem WeinbrandVerschnitt zu trinken. Ich lehnte höflich ab, erklärte, daß ich zum Dienst müsse. Hartnäckig, wie Betrunkene sind, kamen nun auch die beiden anderen, schmückten mich mit Papierschlangen und hörten nicht auf, mich zum Trinken

Weitere Kostenlose Bücher