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Zeit der Sternschnuppen

Zeit der Sternschnuppen

Titel: Zeit der Sternschnuppen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Herbert Ziergiebel
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für eine Ironie – seinetwegen mußte ich lügen. Hätte sich Theo damals etwas mehr zusammengenommen, wäre er jetzt mein Zeuge gewesen.
    Waldi erkannte sein Domizil nicht wieder. Er schnupperte an der Häuserwand, setzte seine magische Duftmarke. Ich ging auf und ab, wartete. Endlich kamen zwei Knirpse die Treppe herunter. Ich gab ihnen zwei Mark, mein letztes Geld, und bat sie, den Dackel bei Theo abzuliefern.
    »Er sieht aus wie sein alter Dackel«, meinte einer der Jungen, »der ist ihm vor einem halben Jahr mit einem Mann ertrunken.«
    »Er wird sich freuen, einen neuen Dackel zu kriegen«, sagte ich und beeilte mich, Theos Wohngegend zu verlassen. Er würde bestimmt nach dem Unbekannten suchen, der ihm seinen Waldi wiedergebracht hatte.
    Also ertrunken – auch eine Deutung. Eigentlich war die Schlußfolgerung nicht überraschend. In der Nähe von Manik Maya gab es Spreearme, die durch mehrere Seen führten. So ließ sich sogar die noch immer fehlende Leiche erklären.
    Je näher ich meiner Wohnung kam, desto langsamer wurden meine Schritte. Nach dem langen Fußmarsch schmerzten mir die Füße; ich war solche ausgedehnten Spaziergänge nicht mehr gewohnt. Nervöse Unruhe ergriff mich, als ich unsern Wohnblock sah. Eigentlich hätte Johanna noch auf sein müssen. Hinter den Fenstern meines Arbeitszimmers war es dunkel. Ich ging auf die andere Seite, wo sich Wohn- und Schlafzimmer befanden. Auch hier brannte kein Licht. Eine Galgenfrist, dachte ich, sie wird bei Freunden sein. Vielleicht feierte sie das neue Jahr sogar mit Theo und Erhard zusammen… Unangenehm war nur, daß ich keinen Wohnungsschlüssel besaß.
    Die Haustür war nur angelehnt. In einigen Wohnungen wurde noch gefeiert; Gelächter und Musik flatterte durchs Treppenhaus. In diesem Neubau war jeder Seufzer zu hören. Sogar unsere Nachbarin, Frau Bertram, eine einsam lebende ältere Dame, hatte noch Besuch.
    Unschlüssig stand ich eine Weile vor unserer Wohnungstür, lauschte. Obwohl es wenig Sinn hatte, zu läuten, drückte ich nach alter Gewohnheit zweimal kurz den Klingelknopf. Das »Kling-Klong« hallte durch die Wohnung, löste Sekunden später ein unverkennbares Geräusch aus. Peppi, mein Rater, war von seinem Schlafplatz, einem wackligen Küchenstuhl, gesprungen. Ich war sicher, daß er jetzt in Lauerstellung hinter der Wohnungstür hockte.
    Ich setzte mich auf die Treppenstufe. Einmal mußte Johanna zurückkommen. Kostbare Zeit, mich auf unser Wiedersehen vorzubereiten…
    Eine halbe Minute mochte vergangen sein. An der Wohnungstür wurde plötzlich ein feines Klicken vernehmbar. Dann geschah etwas Wunderbares. Die Tür öffnete sich. Langsam, wie im Zeitlupentempo, wurde der Spalt größer. Zuerst sah ich ein Paar rote Pantoffeln, dann die Farben eines bunten Morgenrocks. Im Türrahmen stand Johanna.
    Es kam so überraschend, daß ich vergaß aufzustehen. Ich konnte an nichts mehr denken. Ihre Augen blickten mit ungläubigem Erstaunen auf den zerknittert und verwahrlost aussehenden Mann, der wie ein Vagabund auf der Treppe hockte. Der Kater nutzte seine Chance, raste an mir vorbei und hoppelte die Treppen hinunter.
    Johanna blickte mich schweigend an. Sie war sich nicht ganz sicher, ob das Bild vor ihr zu einem Traum gehörte. Im Treppenhaus erlosch das Licht.

19
    Ich stand auf, drückte den Lichtschalter. »Guten Morgen, Hanni, ich bin es wirklich, du träumst nicht…« Ich rang mir ein Lächeln ab. »Ein gutes neues Jahr wünsche ich dir.«
    Noch immer brachte sie kein Wort heraus.
»Darf ich reinkommen?«
Sie machte mir Platz. Ich wollte sie umarmen und küssen,
    aber sie bog ihren Kopf zur Seite, ging wortlos in die Stube. »Ich begreife dich«, murmelte ich, »trotzdem könntest du dich etwas freuen…«
    Ich kannte meine Frau lange genug, las in ihrem Gesicht und aus ihrem ganzen Verhalten, was sie von meiner »Auferstehung« hielt. Ich konnte es ihr nicht verdenken. Monatelang hatte sie um den Vermißten getrauert, nun stand er plötzlich unversehrt vor ihr. Was lag näher als die peinigende Erkenntnis, gefoppt und betrogen worden zu sein. Die unerquickliche Situation hätte sich leichter bereinigen lassen, wäre es nur eine Angelegenheit zwischen uns beiden gewesen. Doch mein Verschwinden mußte Aufsehen erregt haben, die Polizei, Freunde und Freundinnen wußten davon; und ich stand hier, hatte als einzige Ausrede nur die Möglichkeit, ihren absurden Verdacht zu bestätigen.
    »Hanni«, druckste ich, »wollen wir uns nicht wie

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