Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Zeit der Sternschnuppen

Zeit der Sternschnuppen

Titel: Zeit der Sternschnuppen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Herbert Ziergiebel
Vom Netzwerk:
muß zur Polizei. Sie brauchen nur den Namen des Busfahrers herauszufinden…«
Völlig durcheinander, holte ich meinen Wintermantel aus dem Schrank. Johanna stellte sich vor mich, sagte besorgt: »Sieh doch auf die Uhr, Hans, es ist nach zwei. Du brauchst einen Doktor. Bitte, geh jetzt nicht mehr auf die Straße.«
Vor einer halben Stunde noch wäre mir ihre Fürsorge wie Balsam gewesen, jetzt hörte ich nicht mehr zu. Noch auf der Treppe bat sie mich verstört zu bleiben. Wahrscheinlich wäre sie mir bis auf die Straße nachgekommen, aber sie war nicht angekleidet. Obwohl mich eine dunkle Ahnung beschlich, daß ihre plötzlich erwachte Sorge aus ganz anderen Erwägungen hergeleitet sein könnte, machte ich mir in meiner panikartigen Stimmung keine Gedanken darüber. Getrieben von der Furcht, die Diebe könnten das wertvolle Sendegerät womöglich in ihrer Trunkenheit zerstören, eilte ich, von finsteren Überlegungen geplagt, in der Silvesternacht durch die Straßen zum nächsten Polizeirevier.
    Der Kreis ist durchschritten, der lange, abenteuerliche Weg unseres Träumers scheint ein Ende gefunden zu haben; wir sind wieder am Ausgangspunkt angelangt. Der unberechenbare Zufall hat die Kugel auf Zero gerollt. Etwas Wehmut befällt uns, wenn wir an seine zerstörten Hoffnungen und an die nun vergeblich wartende Aul denken. Alles, was nun noch folgen könnte und folgen wird, drängt sich mit zwingender Logik auf. Selbst ein Elektronenrechner könnte unserm Freund nicht aus dem Irrgarten heraushelfen, in dem er unverschuldet verstrickt wurde. In seinem Erdendasein fehlen fünfeinhalb Monate. Die Rechnung muß beglichen werden.
    Wir ahnen den verhängnisvollen Verdacht seiner Frau Johanna, und es bedarf keiner prophetischen Begabung, den Klartext der Gedanken des Kriminalisten Eichstätt zu entziffern, dem Weyden sich mit der ganzen Naivität seines Gemüts anvertraut hat.
    Da sich nun seine letzte Wegstrecke so deutlich vor uns abzeichnet, könnten wir seine phantastische Geschichte an dieser Stelle eigentlich beenden, wären wir nicht selbst die stummen Zeugen seiner Erlebnisse. Die Neugier, dieser dem Menschen innewohnende Trieb, rechtfertigt wohl auch, wenn wir ihn jetzt auf seinem letzten, nicht weniger abenteuerlichen Wegen begleiten. Die Kugel seines Schicksals, eben noch auf Zero, rollte bereits wieder. Verweilen wir also noch einen Augenblick am Spieltisch des Zufalls, und beobachten wir ihren Weg.

20
    Die letzten Monate hatten mir oft ein seltsames Erwachen beschert; ich war auf Überraschungen trainiert. Jetzt aber kam es mir vor, als gäbe es kein Zurückfinden mehr. Ich lag im Bett, blinzelte zur Decke, die weinrot getüncht war, schielte zu den verschiedenfarbigen Wänden, fand keinen Faden, an dem ich Erinnerungen abspulen konnte.
    Zu meiner Rechten befand sich ein Fenster, davor ein Tisch. An diesem Tisch saß eine Frau, ganz in Blau und Weiß gekleidet. Sie saß mit dem Rücken zu mir, schrieb etwas. War es Aul? In was für einem Bett schlief ich? Die Zudecke war ebenfalls blauweiß kariert. Sosehr ich auch grübelte, mit diesem Aufenthaltsort verbanden sich keine Erinnerungen. Endlich kam ich auf den Gedanken, mich in einem Labor des sechsten Mondes zu befinden. Leise rief ich: »Aul, Sternschnuppchen, bist du es?«
    Die Frau stand auf, trat an mein Bett. Es war eine Krankenschwester. Freundlich lächelnd sagte sie: »Guten Morgen, Herr Weyden, endlich erwacht? Ich bin Schwester Hildegard. Wir haben lange geschlafen, über achtzehn Stunden. Ich werde jetzt den Professor verständigen und bringe dann auch das Frühstück.« Sie ging hinaus.
    Wieso haben wir lange geschlafen? sinnierte ich. Diese Schwester Hildegard hast du doch noch niemals gesehen. Und was für einen Professor will sie holen? Ich schlug die Decke zurück und sah mich erstaunt in meinem Schlafanzug. Vor dem Bett standen meine Pantoffeln. Links ein Nachttisch, in einem Fach das unentbehrliche Zubehör eines Krankenzimmers. Es war recht komfortabel eingerichtet, eine kleine Sitzecke, ein Handwaschbecken, auf der Konsole einige Gläser, darunter ein Becher mit einer Zahnbürste. Sogar ein Frottierhandtuch mit meinem Monogramm hing dort.
    Das Fenster, mit einem Gitter versehen, gab den Blick auf einen Park frei. Erst die schneebedeckten Bäume und Wege knüpften allmählich die Fäden der Erinnerung. Der Rückflug, die Wiese, Waldi, Auls Antwort im Autobus, Silvester, Johanna. Mit einem Mal war das Bild lückenlos. Ich hatte auf der Polizei

Weitere Kostenlose Bücher