Zeit der Teufel
theatralische Armbewegung und wies auf den Dicken, während Nicole bereits den Lift erreicht hatte und aufs Knöpfchen drückte. »Wenn Sie Beratung in modischen Fragen benötigen: Dieser Gentleman ist Ihnen sicher gern behilflich.«
Die Lifttür öffnete sich, und im nächsten Moment waren Zamorra und Nicole verschwunden.
Welches Drama sich in der Etage anbahnte, hätte sie zu einem anderen Zeitpunkt vielleicht interessiert, aber jetzt gab es Wichtigeres.
Im Foyer hatte sich außer Blumenschmuck und Pagen-Uniformen in den drei Jahrzehnten nicht allzuviel geändert. Ein paar Menschen sahen zu ihnen herüber, interessierten sich aber weniger für den Dämonenjäger als für Nicole in ihrem hautengen, schwarzen Lederoverall und der seltsamen Waffe an ihrem Gürtel. Zamorra steuerte eine kleine Sitzgruppe an. »Unser eigentliches Problem beginnt erst jetzt«, sagte er.
»Und das größte ist, dass wir zwar dafür sorgen müssen, dass du nicht stirbst, aber noch mehr, dass wir uns nicht selbst begegnen. Du darfst deinem anderen Ich ebensowenig direkt begegnen wie ich meinem.«
Zamorra nickte. Eine Begegnung wäre katastrophal. So weit Zamorra informiert war, würde ein solches Aufeinandertreffen beide auslöschen, so wie Materie und Antimaterie beim Kontakt völlig zerstrahlt wurden. Sie mussten deshalb äußerst vorsichtig sein.
»Immerhin kennen wir die Lokalitäten«, sagte er. »Wir wissen, wo wir uns finden und deshalb meiden müssen. Wir müssen mein Umfeld abchecken. Herausfinden, was da los ist, wer hinter der ganzen Sache steckt.«
»Keine Erinnerungsfetzen?«, fragte Nicole.
Der Meister des Übersinnlichen, wie er von vielen genannt wurde, schüttelte den Kopf. »Nichts«, sagte er. »Vielleicht kommen Bilder, wenn wir wieder in die andere Zeitebene rutschen, in der ich starb. Aber …«
Er verstummte. Bisher war der Wechsel zwischen Sein und Nichtsein in der Gegenwart erfolgt. Jetzt befand er sich in der Vergangenheit. Was, wenn er jetzt wieder auf die ›andere Seite‹ gezogen wurde? Erging es ihm dann so wie seinem anderen Ich, starb er, weil das in jener falschen Zeitebene korrekt war? Er wusste es nicht. Hierzu fehlten ihm die entsprechenden Erfahrungswerte.
Er sah auf sein Armband-Chrono, um Uhrzeit und Datum zu überprüfen. Die Digitalanzeige wies den 3. Juli 1973 aus, einen Dienstag. »Ziemlich exakt«, sagte Zamorra. »Nur ein paar Tage vor meinem vermeintlichen Tod. Wahrscheinlich reicht die Zeit aus.« Er hatte sich auf keinen konkreten Tag konzentriert, als er Merlins Zeitring am Finger drehte und den uralten, mächtigen Zauberspruch aufsagte. Er hatte nur eine Vorstellung von seiner Zielzeit, und das hatte offenbar funktioniert.
»Ich bin mir da nicht so sicher«, sagte jemand und setzte sich zu ihnen.
Donnerstag, 11. Juli 2002
»Asmodis!«, stieß William hervor. »Was zum Teufel wollen Sie hier?«
»Gute Frage«, sagte der Ex-Teufel. »Nächste Frage, bitte – aber die stelle ich. Wo ist Ihr Boss?«
»Da, wo Sie ihn niemals erreichen können«, sagte der Butler. »In einer anderen Zeit.«
»Ich hab's befürchtet. Dieser Narr«, sagte Asmodis und ließ sich in einen der Sessel fallen. Er schlug die Beine übereinander und streckte die Hand aus. »Haben Sie einen Drink für mich? Ihr geisterhafter Kollege Raffael war nicht besonders gastfreundlich.«
»Mit Verlaub, Sir – was Sie angeht, bin ich es auch nicht«, äußerte William. »Was wollen Sie von Professor Zamorra?«
»Ihm helfen. Alte Freunde lassen einander niemals im Stich. Oder?«
»Ich bin nicht sicher, ob der Professor Sie als seinen Freund betrachtet.«
»Ach, kommen Sie, William. Es ist alles eine Frage der Perspektive. Was wäre Zamorra ohne mich? Und ich will ihm doch wirklich nur helfen.«
William antwortete nicht. Er fühlte sich in Gegenwart des Dämons äußerst unbehaglich.
Asmodis saß da, zurückgelehnt, im grauen Westenanzug, wie ein seriöser Geschäftsmann. Das mochte er auch sein, in einer der vielen »Tarnexistenzen«, die er rund um die Welt unterhielt, um ständig in andere Rollen schlüpfen zu können. Schon in seiner Zeit als Fürst der Finsternis hatte er so versucht, die Geschicke der Menschen zu bestimmen, soweit es ihm möglich war. Als Gestaltwandler waren ihm in dieser Hinsicht auch keine Grenzen gesetzt. Wenn er nicht wollte, erkannte ihn niemand; zuweilen nahm er auch Frauengestalt an. Er agierte, reagierte und propagierte. Und er war ein Puppenspieler, der die Fäden
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