Zeit der Träume
passierte mit dem Liebespaar?«
»Da gibt es ebenfalls verschiedene Versionen.« Sie tauchten beide gleichzeitig ihre Löffel in die Crème. »Meine Großmutter erzählt am liebsten, dass der trauernde König die Liebenden zum Tode verurteilen wollte, aber seine Frau griff ein und bat um Gnade für sie. Stattdessen wurden sie verbannt. Sie wurden hinter den Vorhang der Träume geschickt, und es wurde ihnen verboten, jemals zurückzukehren, es sei denn, sie fänden die drei sterblichen Frauen, die den Kasten mit den Seelen aufschließen konnten. Und so wandern sie über die Erde, Götter, die als Sterbliche leben, auf der Suche nach der Triade, die nicht nur die Seelen der Töchter, sondern auch ihre eigenen befreit.«
»Rowena und Pitte halten sich für die Lehrerin und den Krieger?«
Es gefiel ihm, dass sie zu genau denselben Ergebnissen kam wie er. »Davon gehe ich aus. Das sind Verrückte, Malory. Es ist ein hübsches Märchen, romantisch, farbig. Aber wenn jemand anfängt, die Rollen mit sich selber und anderen Leuten zu besetzen, dann gerätst du nach Psychoville.«
»Du vergisst das Geld.«
»Nein. Das Geld macht mir Sorgen. Dreißigtausend Dollar bedeuten, dass es für sie kein Spiel ist, sondern dass sie es ernst meinen. Entweder glauben sie beide an den Mythos - oder aber sie bereiten einen Riesenbetrug vor.«
Malory nahm einen weiteren Löffel von der Crème Brulée. »Mit den zehntausend habe ich jetzt ungefähr zehntausendzweihundertfünf Dollar, einschließlich der zwanzig Dollar, die ich heute früh noch in der Tasche meines Jacketts gefunden habe. Meine Eltern gehören ganz normal der Mittelschicht an. Ich habe keine einflussreichen oder reichen Freunde oder Liebhaber. Ich besitze nichts, was einen solchen Betrug lohnen würde.«
»Vielleicht sind sie ja auf etwas anderes aus, etwas, an das du noch nicht gedacht hast. Aber um auf die Liebhaber zurückzukommen: Hast du denn arme Liebhaber?«
Sie trank einen Schluck Kaffee und blinzelte ihn über den Rand der Tasse hinweg an. Die Sonne war mittlerweile untergegangen, und eine Kerze flackerte auf dem Tisch. In ihrem Schein wirkten seine Haare dunkler, seine Augen grüner. »Im Moment nicht.«
»Das ist ja ein Zufall. Ich auch nicht.«
»Ich suche nach dem Schlüssel, Flynn, nicht nach einem Liebhaber.«
»Du gehst davon aus, dass der Schlüssel existiert.«
»Ja. Wenn ich das nicht annehmen würde, bräuchte ich nicht danach zu suchen. Außerdem habe ich mein Wort gegeben.«
»Wenn ich dir helfe, findest du ihn.«
Sie stellte ihre Kaffeetasse ab. »Warum?«
»Aus vielen Gründen. Zum einen bin ich einfach neugierig von Natur aus, und es ist eine interessante Geschichte, ganz egal, wie sie ausgeht.« Er strich mit der Fingerspitze über ihren Handrücken, und ein Schauer überlief sie. »Zum zweiten ist meine Schwester involviert. Zum dritten möchte ich gern in deiner Nähe sein. Ich stelle es mir so vor, dass du mir auf lange Sicht genauso wenig widerstehen kannst wie der Crème Brulée.«
Sie zog die Augenbrauen hoch. »Ist das Selbstbewusstsein oder Selbsttäuschung?«
»Einfach nur Schicksal, meine Süße. Hör mal, sollen wir nicht zu mir nach Hause gehen und... Na ja, zum Teufel, ich habe gar nicht ans Küssen gedacht, bis du mich so frech angesehen hast. Jetzt habe ich den Faden verloren.«
»Ich kann deinem Faden mühelos folgen.«
»Okay, das wollte ich eigentlich nicht sagen, aber jetzt ist es auch egal. Eigentlich wollte ich vorschlagen, dass wir zu mir gehen und ein bisschen recherchieren. Ich kann dir zeigen, was ich bisher herausgefunden habe - es ist allerdings so gut wie nichts, weil es keine Daten über deine Wohltäter gibt, jedenfalls nicht unter den Namen, die sie verwenden.«
»Die Recherche überlasse ich im Moment Dana und dir.«
Malory zuckte mit den Schultern. »Ich muss andere Spuren verfolgen.«
»Und welche?«
»Logik. Göttinnen. Es gibt ein paar Esoterikläden hier in der Gegend, und die werde ich überprüfen. Und ich werde herausfinden, wer das Porträt gemalt hat, welche Bilder es sonst noch von dem Künstler gibt und wo sie sich befinden. Wer sie besitzt, wie sie erworben wurden. Ich muss nach Warrior’s Peak fahren, mit Pitte und Rowena reden und mir das Gemälde noch einmal anschauen.«
»Ich begleite dich. Das ist eine tolle Story, Malory, und ich werde sie schreiben.«
Sie erstarrte. »Wenn du jetzt darüber schreibst, wird der halbe Bezirk jeden Schlüssel im Umkreis von hundert Meilen
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