Zeit des Aufbruchs
einmal dem Hohen Rat vorbehalten gewesen war. Die Wachen standen in Zeremonienrüstungen in ordentlichen Reihen vor dem Eingang und versperrten den Weg; sie wurden von einem Truppenführer befehligt, dessen goldener Federbusch sich wie ein Fächer über dem glänzenden Helm ausbreitete.
Bevor Tasaio etwas sagen konnte, hob der Kaiserliche Truppenführer die Hand. »Mylord der Minwanabi, Ihr seid aufgefordert, Euch dem Licht des Himmels in dem Saal zu präsentieren, der früher vom Hohen Rat benutzt wurde.« Der Offizier machte eine Handbewegung, und die Krieger traten geschmeidig zur Seite, um Tasaio durchzulassen.
Tasaio strahlte in seiner schönsten Rüstung; in der Scheide am schwarzlackierten Gürtel trug er das Schwert seiner Ahnen. Er winkte seine Gefolgschaft weiter. Als sie die Korridore zum Ratssaal entlangschritten, lächelte er seinen Ersten Berater zufrieden an. »Ichindar weiß immer noch die Illusion der Herrschaft aufrechtzuhalten, auch wenn seine Autorität längst in Frage gestellt ist.«
Incomo schwieg. Ihm war heiß in seiner zeremoniellen Kleidung, und er war so atemlos vom raschen Gehen, daß er nicht einmal in der Lage war, den Anschein von Würde aufrechtzuerhalten. Er konnte kaum den richtigen Abstand zwischen sich und seinem Lord einhalten, während er darüber nachdachte, was während der bevorstehenden Auseinandersetzung schiefgehen konnte. Als sie den Eingang zur Ratshalle erreicht hatten, überraschte Tasaio seinen Ersten Berater, indem er plötzlich auf der Schwelle des Hauptportals stehenblieb; nur mit Mühe konnte der ältere Mann einen Zusammenstoß vermeiden. Incomo wurde aus seinen Gedanken gerissen und warf einen Blick über die Schulter seines Herrn, um zu sehen, was die Verzögerung verursacht hatte.
Der Saal war vollbesetzt mit Herrschenden, was keine Überraschung war, da die Edlen von niedrigerem Rang ihre Sitze zuerst einnahmen. Als Lord des derzeit mächtigsten Hauses besaß Tasaio das Privileg, zuletzt zu erscheinen. Daß diese Ratsversammlung keine gewöhnliche war, wurde durch die Tatsache verstärkt, daß selbst die obersten Galerien besetzt waren. Auch der unwichtigste Lord im Kaiserreich hatte es als angemessen empfunden, dieser Versammlung beizuwohnen – der sicherste Hinweis auf die krisenvolle Zeit. Incomo blinzelte mit kurzsichtigen Augen, um das zentrale Podest besser erkennen zu können. In dem grellen Sonnenlicht, das von der Kuppel hereinfiel, machte er eine Gestalt in glänzenden weißen Gewändern und einer Rüstung aus kostbarem, strahlendem Gold aus. Das Blitzen all der Juwelen und Metalle verhinderte, daß Incomo sofort begriff, was sich geändert hatte.
Als er es dann tat, war der Grund für Tasaios überstürzten Halt offensichtlich: Der Thron aus Elfenbein und Gold, der in vergangenen Generationen den Kriegsherren Platz geboten hatte, stand nicht länger auf dem Podest.
»Verflucht sei der Name ihrer Ahnen«, zischte Tasaio zwischen zwei Atemzügen. Nachdem er die Abwesenheit des weißgoldenen Thrones bemerkt hatte, hatte er auch Mara entdeckt; sie stand in leuchtendgrüner Seide vor dem Podest zu Füßen des Lichts des Himmels.
»Mylord Tasaio«, sagte Ichindar in der betretenen Pause, während Tasaio sich noch nicht von seiner Überraschung erholt hatte. Es war offensichtlich, daß der Lord der Minwanabi beabsichtigt hatte, den Saal zu betreten und vor dem gesamten Hohen Rat und dem Kaiser auf das Podest zu steigen und den Platz des Kriegsherrn einzunehmen. Mara hatte dafür gesorgt, daß der Stuhl entfernt worden war und ihm dieses Schauspiel vorenthalten blieb. Als alle ihre Blicke auf ihn richteten und den Lord der Minwanabi in einem Moment höchster Beschämung ertappten, fuhr das Licht des Himmels fort: »Ihr batet um meine Anwesenheit bei einem Treffen mit den Herrschenden des Kaiserreiches. Ich bin gekommen.«
Tasaio gewann seine Haltung wieder – mit einem Reflex, der so schnell war wie ein Schwerthieb. Als hätte er von vornherein vorgehabt, von seinem Platz im zentralen Gang aus zu sprechen, schaute er erhaben durch den Raum. »Eure Majestät, Mylords.« Er warf einen Blick auf Mara. »Lady.« Die Zuhörerschaft verstummte, als er langsam die Stufen hinunterschritt. »Wir sind gekommen, um Euch aufzufordern, die Unterbrechung der traditionellen Regierungsweise des Kaiserreiches zu beenden.« Er nahm sich nicht die Zeit, sich zu verbeugen. »Majestät, ich erkläre, es ist an der Zeit für den Hohen Rat, zusammenzutreten und einen
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