Zeit des Aufbruchs
sich tiefer als gewöhnlich und verschwand so leise wie ein Gespenst. Mara blickte einige Minuten auf die Tür und kam erst wieder zu sich, als Kevin sich neben sie setzte und sie in die Arme schloß. Zitternd und ängstlich bemüht, nicht die Unsicherheit in ihrem Innern zu benennen, beendete sie ihren Gedanken: »Ich fürchte, es ruht sehr viel auf den Schultern eines sehr jungen Mannes, und die Götter können unserem Licht des Himmels ihre Gunst schenken oder sich von ihm abwenden.«
Kevin drückte einen Kuß auf ihre Stirn. Er machte sich keine Illusionen. Auch ihm war klar, sie konnten bestenfalls hoffen, daß es Arakasi gelingen würde, sie vor einem feindlichen Angriff rechtzeitig zu warnen.
Drei Tage schien das Kaiserreich den Atem anzuhalten. Außerhalb des Palastes bemühte sich die Heilige Stadt um eine Rückkehr zur Normalität, als Arbeiter die Reparaturarbeiten an den letzten zerstörten Docks beendeten und Steinmetze niedergefallene Steine aus der Arena holten und damit den Zugang zum Kaiserlichen Palast erneuerten. Fischer liefen vor dem Morgengrauen mit den Booten aus und warfen ihre Netze in die Strömung des Gagajin, und Bauern trieben die Ernte der letzten Saison auf schwer beladenen Wagen herein oder brachten sie auf Barken über das Wasser herbei. Der Geruch von Räucherwerk und Blumen übertünchte den Gestank der verbrannten Toten, und Verkäufer bauten offene Stände in den unüberdachten Mauern ihrer Läden auf. Wieder machten sie mit ihrem Singsang die Passanten auf ihre Waren aufmerksam.
Trotzdem hatten all diese Geräusche, all diese Geschäftigkeit etwas von einer traumähnlichen Flüchtigkeit, selbst für die Armen und Bettler, die am weitesten entfernt vom Zentrum der Macht waren. Gerüchte kannten keine Grenzen. Und so, wie geborstene Holzbalken immer noch wie Knochen zwischen den behelfsmäßig errichteten Mauern hervorragten, lag auch ein beunruhigender Unterton in der Alltäglichkeit der Stadt. Der Kaiser von Tsuranuanni war in einer anderen Welt, und Iskisu, der Gott des Betrugs und des Zufalls, hielt die Waage an – und nicht nur der Frieden von zwei Menschen, sondern die Stabilität eines alten Volkes, alles hing von dem Treffen der zwei jungen Herrscher aus grundsätzlich verschiedenen Kulturen ab.
Im Palast mußte Mara auf einen trostspendenden Innenhof und Springbrunnen verzichten, und sie verbrachte die Stunden in dem kleinen Raum in der Mitte. Während die Soldaten sich in den Zimmern darum aufhielten und Wachen an jeder Tür und jedem Fenster standen, studierte sie Nachrichten und Botschaften und blieb vorsichtig in Kontakt zu anderen Lords. Arakasi tauchte beinahe stündlich auf, in der Verkleidung eines Vogelhändlers, Boten, selbst eines Bettelpriesters. Er hatte noch nicht geschlafen, sondern arbeitete unermüdlich zwischen kurzen Nickerchen, verwandte jedes ihm zur Verfügung stehende Mittel, um das kleinste bißchen Information zu erhaschen, das von Nutzen sein konnte.
Im Nebenraum hielt Lujan Schwertübungen mit seinen Soldaten ab, immer einer nach dem anderen. Das Warten zehrte an ihren Nerven, besonders an denen der Krieger, die nichts anderes tun konnten, als endlose Stunden nutzlos Wache zu stehen. Einige weitere Kompanien der Acoma waren in die Stadt geschlüpft, und durch schlaue Planung und mit Hilfe des Karrens eines Teppichhändlers waren noch einige Krieger in den Kaiserlichen Bezirk geschmuggelt worden. Die Garnison in Maras Wohnbereich zählte jetzt zweiundfünfzig, und Jican fing an, sich zu beklagen. Seine Küchenjungen konnten die Töpfe nicht schrubben, ohne gegen Klingen zu stoßen, und Lujan würde die Krieger in vier Reihen nebeneinander auf dem Teppich schlafen lassen müssen, wenn er noch mehr Truppen herbeizuschaffen gedachte. Doch die Anzahl an Kriegern würde kaum weiter ansteigen, die der Acoma sowenig wie die der anderen Häuser. Die Kaiserliche Garde hatte den Zuwachs an Soldaten im Palast bemerkt und untersuchte alle hereinkommenden Wagen und Diener, um die Zahl der möglicherweise Kämpfenden zu begrenzen.
Eilige Schritte hallten durch den Flur außerhalb der Wohnung. Das Geräusch von Sandalen eines Boten drang durch die Wände, ein gespenstischer, flüsternder Gegensatz zu dem Krachen und Scheppern der Schwertkämpfe zwischen Lujans Kampfpartnern. Mara hörte es von ihrem Tisch im mittleren Zimmer. Sie richtete sich kerzengerade auf und sah Kevin aufgeregt an. »Irgend etwas ist geschehen.«
Der Midkemier fragte nicht, woher
Weitere Kostenlose Bücher