Zeit Des Zorns
selbst entscheiden sollen. Allerdings verbietet die weltweite Sicherheitshysterie den Staatsvertretern längst das wohlige »Bad in der Menge«. An ausgewählten Objekten wird Volksnähe nur noch inszeniert, während die Gipfel in bis an die Zähne gerüsteten Festungen stattfinden. Die G8-Gipfel sind daher in erster Linie eine Machtdemonstration: »Wir beherrschen die Welt!« Natürlich wurden sie damit zu Kristallisationspunkten internationalen Widerstands.
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Gehen wir einmal knappe 30 Jahre zurück, in die Mitte der 1980er Jahre. Die alte, einflussreiche Anti-AKW-Bewegung, die sich zu einer staatskritischen Bewegung entwickelt hatte, war im DeutschenHerbst von 1977 vom Staat niedergeschlagen worden. Die Atomkatastrophe von Tschernobyl (1986) lag noch vor uns. Gegen die Wiederaufbereitungsanlage (WAA) im bayerischen Wackersdorf tobte eine sehr phantasievolle und zähe Widerstandsbewegung, die sich am Ende durchsetzte. In der Rhein-Main-Region waren die letzten wilden Wehen der Startbahnbewegung zu spüren, und bei den relativ linken Grünen war auf Bundesebene von einem Sieg des rechten Flügels, der sogenannten »Realos«, noch nichts zu sehen. Die Hauptstadt der Bundesrepublik Deutschland hieß noch Bonn.
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Mai 1985, Weltwirtschaftsgipfel in Bonn : Ein Bündnis aus linken Grünen, Gewerkschaftern, autonomen und anderen Linken trug die Gegenkampagne. Der US-Präsident hieß Ronald Reagan, angeblich hatte er auch in Bonn einen schwarzen Koffer mit dem roten Knopf bei sich, um im Fall des Falles Atomraketen in Richtung Sowjetunion abfeuern zu können. Es waren etwa 20 000 bis 30 000 Demonstranten, die einen konstruktiven Gegengipfel und phantasievolle, nichtmilitante Aktionen veranstalteten. Den 10 000 Polizisten vor Ort war es vermutlich zu ruhig, so griffen sie aus der dichten Menschenmenge auf dem Münsterplatz willkürlich einzelne Demonstranten heraus, was eine einstündige körperliche Auseinandersetzung auslöste, denn die so Aussortierten wurden sogar von empörten Gewaltfreien verteidigt. Danach waren das Pflaster löchrig und alle Schaufenster des Kaufhofs geborsten.
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September 1988, tagelange Proteste gegen die Tagung des IWF und der Weltbank in Berlin (West) : Die Mauer war noch dicht. An den westdeutschen Übergängen in die DDR und von dort aus nach Westberlin hatten Reisende, die nach »Demonstranten« aussahen, heftige körperliche Kontrollen zu erdulden. In Westberlin fanden vor den Ereignissen Hausdurchsuchungen und Hausbesuche statt, um die Gipfelkritiker vom Demonstrieren abzuhalten – was aber nichts nützte.
Der Polizeieinsatz war der bis dahin größte in der Nachkriegszeit. Ziemlich amüsant war die große Zahl von Polizeifahrzeugen mit westdeutschen Kennziffern, deren Insassen, Stadtpläne vorm Gesicht, sich in Westberlin ständig verfuhren und Passanten nach dem Weg fragten, die »ordentlich« und überhaupt nicht nach Demonstrant aussahen. Die beschrieben dann gern mit ernstem Gesicht den falschen Weg. Weniger amüsant war, wie sehr Teile des Westberliner Stadtgebiets dem Areal einer militärischen Notstandsübung ähnelten.
Der Berliner Innensenator Kewenig (CDU) setzte die damals berüchtigte Polizeisondereinheit EbLT (Einheit für besondere Lagen und einsatzbezogenes Training) ein, die auch bei Einsätzen am 1. Mai in Westberlin und in Wackersdorf durch besondere und enthemmte Grausamkeit aufgefallen war. Ein EbLT-Mitglied sagte einer Zeitschrift, dass die Polizeiführung der Einheit großen Freiraum und vollständige Rückendeckung zugesichert habe und dass es erstaunlich sei, dass noch keine Demonstranten totgeschlagen worden seien. Die Einheit sei so gefährlich, dass sie sofort aufgelöst gehörte. 228
Dazu kamen einige hundert USK-Polizisten aus Bayern. Diese USKs (Unterstützungskommandos) waren Ende 1987 nach dem Muster der EbLT-Einheiten aufgebaut worden und agierten nach dem gleichen Prinzip: losjagen und zuschlagen. Dabei wurde in Berlin unter anderem auch die Besatzung eines Demo-Lautsprecherwagens krankenhausreif geprügelt.
Die Aktionen gegen die Tagung von IWF und Weltbank waren monatelang vorbereitet worden. Hauptträger der Ereignisse waren linke und autonome Gruppen, Dritte-Welt-Gruppen, dazu die damals noch linkeren Grünen mit ihrem Landesverband der Alternativen Liste Westberlin, der BUKO (Bundeskongress entwicklungspolitischer Aktionsgruppen) und viele andere. Als vor den Aktionstagen ein Auto brannte, gab es enormen Druck auf die moderateren
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