Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Zeit Des Zorns

Zeit Des Zorns

Titel: Zeit Des Zorns Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jutta Ditfurth
Vom Netzwerk:
Fotos von Polizeiübergriffen auf Demonstrantinnen und Demonstranten zeigen heute diesen und andere Griffe, die oberflächlich betrachtet so harmlos erscheinen, dass unerfahrene Betrachter die schmerzverzerrten Gesichter der Festgenommenen für theatralisches Getue halten mögen.
    Von Polizisten bewacht wurde ich in einem Krankenhaus notversorgt. Bei der ärztlichen Untersuchung wollten die beiden Polizisten gern zusehen. Glücklicherweise war der Arzt selbstbewusst, zeigte auf das winzige Fenster, durch das ich nicht hätte fliehen können, und verwies die beiden Staatsdiener des Raums. Er versorgte mich, bandagierte unter anderem mein Handgelenk und legte meinen Arm in eine Schlinge. Die Polizisten wachten vor dem Arztzimmer, dann schleppten sie mich in die Haftanstalt im Polizeipräsidium in der Ettstraße. Ich wurde erkennungsdienstlich behandelt, Fingerabdrücke, Fotos, die ganze Prozedur. Mein Presseausweis war so viel wert wie Klopapier. Welchen Vorwurf machte man mir? Als Antwort nur Gelächter, so sicher fühlten sich staatliche Rechtsbrecher in einer von der SPD regierten Stadt. In diesen sonderbaren Momenten bekommt man eine sehr sinnliche Vorstellung von der »Demokratie«, in der man lebt. Wieder einmal.
    Die Zelle, in der ich dort mit mehr als einem Dutzend Frauen saß, hatte nur etwa sechs Holzpritschen, die wir uns teilten. Ich weiß nicht mehr genau, wie lange wir dort eingesperrt waren. Acht Stunden? Zehn Stunden? In der düsteren Zelle gab es einen Wasserhahn, aus dem aber kein Tropfen kam, weil das Wasser im Flur abgestellt war. Als wir Durst und Hunger hatten, ernteten wir höhnisches Gelächter. Als wir laut wurden, stellten die Wachhabenden das Wasser plötzlich voll auf, und es schoss in hohem Bogen in die Zelle und hörte nicht auf, bis der Boden überschwemmt war. Gegen den Durst hätten wir das Wasser auflecken müssen. Um keine nassen Füße zu bekommen, drängten wir uns auf den wenigen Holzpritschen.
    Wir erfuhren weder damals noch in der Folge, dass die Polizei eine Datei für uns eingerichtet hatte. Sie wurde zwar viel später nach der Kritik des bayerischen Datenschutzbeauftragten offiziell gelöscht. »Löschen« in einer Datenbank heißt aber nicht wirklich löschen, die Daten werden vorher gern von der Polizei in eine andere Datei übertragen. So sind sie, o Wunder, gelöscht und gleichzeitig doch wieder nicht. Die Daten von einigen von uns wurden offensichtlich, wie sich Jahre später herausstellte, in die neue, beim Landeskriminalamt (LKA) geführte, bayerische Staatsschutzdatei(SDBY) übernommen, die »offenbar als Rückzugsgebiet für ansonsten zu löschende Daten« fungierte 232 , wie Datenschützer kritisierten.
    Insgesamt 491 Menschen wurden am Montagmorgen festgenommen. Wie wurde die Sache gerechtfertigt? »Ihre Pfiffe und Sprechchöre, die die Blaskapelle zu Ehren des Bundeskanzlers übertönten, hätten gedroht, die Veranstaltung zu kippen«, rechtfertigte der verantwortliche Polizeipräsident Koller den Einsatz. Bundeskanzler Kohl sagte, die Demonstranten hätten nur »dem eigenen Land Schaden zufügen wollen«. Ministerpräsident Max Streibl meinte, »hartes Hinlangen sei eben bayrische Art«. 233 Der Haftrichter sah das anders. Er lehnte nicht nur den Antrag ab, einige der Festgenommenen vier Tage lang einzusperren. Er ließ am Montagabend auch alle 491 Gefangenen »unverzüglich« frei: »Lärm ist keine Gewalt im Sinne des Paragraphen 240 StGB« (Nötigung).
    Prompt wurden gegen 479 Menschen Verfahren eingeleitet, weil ihnen Polizei und Staatsanwaltschaft vorwarfen, »durch lautes Schreien und Pfeifen mit mitgebrachten Trillerpfeifen den Abbruch der Begrüßungszeremonie für den Weltwirtschaftsgipfel zu erzwingen (Vorwurf der versuchten Nötigung und der Verunglimpfung des Staates und seiner Symbole)« 234 .
    In 287 Fällen stellte die Staatsanwaltschaft die Verfahren ganz ein, weil den Beschuldigten nichts nachgewiesen werden konnte. 188 weitere Verfahren stellte sie »wegen geringer Schuld« ein. Aber in diesen Fällen speicherte die Polizei die erhobenen personenbezogenen Daten weiter. Der Datenschutzbeauftragte hatte gegen die Speicherung in der bayerischen Staatsschutzdatei nichts einzuwenden. Er bemängelte nur, dass einige auch bundesweit aufbewahrt wurden. Man verpasste ihren Akten einen sogenannten KAN-Merker 6 (Handeln zur Verfolgung extremistischer Ziele und fremdenfeindlicher Straftaten), der ursprünglich nur für schwere Straftaten von überregionaler

Weitere Kostenlose Bücher