Zeit für mich und Zeit für dich
mir ihre Adresse. Ich sollte sie nach dem Mittagessen abholen.
Zum Glück fuhr mein Vater damals nicht mehr den weißen Fiat 28 mit der braunen Motorhaube und auch nicht den Panda, sondern einen ganz normalen Fiat Uno. Auch nicht unbedingt beeindruckend, aber wenigstens nicht peinlich. Er hatte nur den Nachteil, dass bei Regen irgendwo Wasser reinkam und das Wageninnere dann ein paar Tage lang ziemlich unangenehm nach Feuchtigkeit roch. Darum nannte ich die Karre »Fiat Humus«.
Den Samstag verbrachte ich damit, das Auto gründlich zu waschen und zu reinigen. Sogar ein bisschen Duftpulver streute ich in den Aschenbecher. Am Abend nahm ich dann noch eine Kassette für die Autofahrt auf. Ich erinnere mich nicht mehr genau an alle Stücke, aber ich weiß, dass ich sie nach dem Romantikfaktor auswählte: Still Loving You von den Scorpions, Mandy von Barry Manilow, Up Where We Belong von Joe Cocker [83] und Jennifer Warnes und Every Time You Go Away von Paul Young.
Wir hatten uns für halb drei verabredet, der Film fing um halb vier an: Cyrano de Bergerac mit Gérard Depardieu. Um Punkt zwei stand ich bereits vor ihrem Haus und begutachtete mich noch einmal im Rückspiegel.
Nach dem Kino gingen wir in ein Café und tranken Tee. Vielleicht lag es an dem Film, vielleicht auch daran, dass ich so glücklich war, jedenfalls plapperte ich so viel wie seit Jahren nicht. Ich war ja nicht lange zur Schule gegangen und darum immer froh, wenn ein Thema aufkam, zu dem ich etwas beisteuern konnte. Das ist blöd, ich weiß, aber wenn man sich minderwertig fühlt, weil man nicht viel gelernt hat, dann will man immer gleich loslegen, wenn man sich mal mit etwas auskennt. Wie ein Kind: »Ich weiß es! Ich weiß es!«
Wir unterhielten uns lange, vor allem über Liebesgeschichten, von Cyrano zu Byron, Dante, Shakespeare und Rimbaud. Schließlich standen wir auf und gingen hinaus, Lucia mit ihrer Handtasche und ich mit meiner, das heißt dem herausnehmbaren Autoradio, das irgendwie aussah wie ein Metalltäschchen. Manchmal legte ich es unter den Sitz oder ins Handschuhfach, aber dort war es vor Dieben nicht richtig sicher, darum nahm ich es lieber mit.
Am Montagmorgen kam Lucia vor der Arbeit zum Frühstück in die Bar. Es war ziemlich voll, und ich hatte nicht viel Zeit, mich mit ihr zu unterhalten. Außerdem wollte ich nicht, dass alle einschließlich meiner Eltern hören konnten, worüber wir sprachen. »Danke noch mal [84] für gestern, es war richtig schön«, flüsterte sie mir zu und fragte mich noch nach dem Titel eines Buches, von dem ich ihr erzählt hatte. Ich schrieb ihn auf eine Papierserviette: Hermann Hesse, Das Glasperlenspiel.
Danach verabredeten wir uns für einen der folgenden Abende. Ich wollte mich nicht gleich wie ein hechelnder Hund an sie ranmachen, zumal ich Angst hatte, im entscheidenden Moment könnte sie, wie ich es von anderen gehört hatte, etwas sagen wie: »Ach, lieber nicht. Lass uns doch einfach Freunde sein.«
Nachdem noch eine Woche vergangen war, nahm ich all meinen Mut zusammen, passte sie nach der Arbeit vor dem Büro ab und fragte sie, ob wir noch mal reingehen könnten. Sie ging voraus und ich hinterher. Ich sah sie an, dann drückte ich sie in einer Ecke des Flurs gegen die Wand und küsste sie voller Leidenschaft. »Du bist ja verrückt«, flüsterte sie. Doch dann erwiderte sie den Kuss, aber nicht sehr lang, weil sie Angst hatte, einer ihrer Kollegen könnte vorbeikommen.
Ab da waren wir zusammen. Nach einem Monat hatten wir immer noch nicht miteinander geschlafen. Ich küsste sie und begann schließlich, sie unter dem Rock anzufassen, unter dem Slip. Als ich das erste Mal die weiche, feuchte Öffnung unter den Schamhaaren spürte, explodierte mein ganzer Körper in einer einzigen heißen Welle, vor allem mein Gesicht. Ich berührte sie vorsichtig, beinah ängstlich.
Sie hatte Angst, im Auto Sex zu machen, und ein Hotel kam nicht in Frage, weil sie sich da wie eine Nutte gefühlt hätte, wie sie sagte. Bevor ich an diesem Abend [85] ins Bett ging, schloss ich mich ein wenig länger als gewöhnlich im Bad ein.
Eines Tages rief Roberto an und sagte: »Hör mal, Samstagabend gehe ich aus und übernachte bei einem Freund. Wenn du willst, stelle ich dir und deiner Freundin meine Wohnung zur Verfügung.«
Ich fragte Lucia, und sie war einverstanden. Es war erst Donnerstag. Mit jeder Minute, die der Samstag näher rückte, wuchs meine Angst. Ich sehnte mich so sehr danach, mit Lucia zu
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