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Zeit für mich und Zeit für dich

Zeit für mich und Zeit für dich

Titel: Zeit für mich und Zeit für dich Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Fabio Volo
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da und nippte an meinem Kaffee, als mein Vater in Unterwäsche in die Küche kam. Gewaschen, rasiert und gekämmt.
    »Was machst du denn so früh hier?«
    »Du hast noch Rasierschaum am Ohr…«
    Er versuchte ihn mit der Hand abzuwischen.
    »Nein, nicht da, am anderen Ohr.«
    »Wann bist du aufgestanden?«
    »Um fünf oder so«, log ich.
    »Und da bist du schon hier? Wenn du in eine Radarfalle gerätst, brummen sie dir ordentlich Punkte auf…«
    [218]  »Ich hab deinen Kaffee getrunken, aber der neue steht schon auf dem Herd.«
    »Sehr gut. Ich geh mich anziehen.«
    Als meine Mutter wieder in die Küche kam, reichte sie mir einen Stapel Papiere für den Arzt. »Ich weiß nicht, ob er die alle braucht, aber ich gebe sie dir vorsichtshalber mal mit, man weiß ja nie.«
    Sie gab alles mir, weil mein Vater in solchen Dingen nicht sonderlich praktisch veranlagt ist. Sie ist da selbständiger, bei ihr hätte ich nicht mitzugehen brauchen. Wenn sie zu Untersuchungen oder zum Arzt muss, geht sie allein; höchstens wenn es regnet, lässt sie sich von meinem Vater fahren, der dann aber im Auto wartet. In die Sprechstunde geht er nie mit.
    Von Krankenhäusern und Arztpraxen hält sich mein Vater fern; ihn zu einem Arztbesuch oder einer Routineuntersuchung zu bewegen kostet immer ziemliche Mühe. Er sagt, er wisse selbst am besten, wie es ihm gehe, wenn man zu sehr auf die Ärzte höre, werde man wirklich krank.
    Ich nahm die Papiere an mich und wartete auf meinen Vater. Wir hatten noch viel Zeit. Ich setzte mich aufs Sofa, und er ging noch kurz in den Keller. »Was macht er bloß immer da unten?«, fragte ich meine Mutter.
    »Da unten hat er all seine Sachen… Die räumt er hin und her, repariert sie, nimmt sie auseinander und setzt sie wieder zusammen. Du weißt doch, wie er ist, er mag seinen Krimskrams.«
    Beinah wäre ich auf dem Sofa eingeschlafen. Eine SMS von Giulia ließ mich aus dem Halbschlaf aufschrecken: Viel Glück!, stand da.
    [219]  Meine Mutter setzte sich neben mich. Ich sah sie an und fragte: »Hast du Angst?«
    »Ja, ein bisschen schon, aber ich versuche, nicht daran zu denken, bevor wir nicht das Ergebnis haben.«
    Gegen acht fuhren wir los. Ich redete nicht viel. Die beiden hatten zu Hause noch ganz entspannt gewirkt. Meine Mutter hatte uns sogar noch gefragt, was wir zu Mittag essen wollten.
    Im Auto machte mein Vater ironische Bemerkungen: »Ich hab’s ja immer gesagt: Man soll sich bloß nicht untersuchen lassen. Siehst du, dass ich recht hatte? Seit sie mir gesagt haben, dass da was nicht stimmt, habe ich selbst das Gefühl, dass es mir nicht gutgeht. Die machen dich kirre… Sag ich doch, von den Ärzten muss man sich fernhalten.«
    Ich hätte gern gelacht, aber es gelang mir nicht. Ich schnaubte durch die Nase und lächelte angestrengt.

[220]  Auf Zehenspitzen sitzen
    Das Wartezimmer im Krankenhaus war eigentlich ein Flur, auf dem schon viele Leute warteten. Wir setzten uns möglichst weit weg von allen anderen. Ohne ein Wort darüber zu verlieren. Darin sind wir uns gleich. Wir wollten unsere Ruhe, wollten uns abgrenzen von dieser Gruppe, in die es uns unversehens verschlagen hatte. Alles war weiß, selbst die Stühle. An der Wand hingen Fotos von italienischen Städten: der schiefe Turm von Pisa, Gondeln, das Kolosseum.
    Irgendwann ging eine Tür auf, eine Krankenschwester kam heraus und las laut die Namen der Anwesenden vor, wie bei einem Appell. Sie hob kein einziges Mal den Blick von dem Blatt, sah niemanden an, ohne dabei unhöflich zu wirken; sie machte nur den Eindruck, dass sie sehr viel zu tun hatte.
    Als sie weg war, fingen alle wieder an zu reden. Manche waren wie ich mit einem Elternteil da, andere mit der Ehefrau oder dem Ehemann. Oft zeigt sich in solchen Situationen erst der wahre Wert der Familie.
    Ein Mann in weißem Kittel kam über den Flur. Mein Vater deutete auf ihn und sagte: »Das ist der Arzt, auf den wir warten.«
    Ich stand auf, ging zu ihm und stellte mich vor.
    [221]  »Aha, Sie sind also das Werbegenie, Kompliment.«
    »Woher wissen Sie, was ich beruflich mache?«
    »Von Ihrem Vater. Bei der Untersuchung hat er mir erzählt, er habe einen Sohn ungefähr in meinem Alter, der sei in der Werbung und äußerst erfolgreich… Sie können sich glücklich schätzen, einen Vater zu haben, der so stolz auf Sie ist, meiner hält mich für einen Taugenichts.«
    »Ich habe erst gestern von dieser Sache erfahren, meine Eltern wollten nicht, dass ich mir Sorgen mache. Worauf

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