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Zeit, gehört zu werden (German Edition)

Zeit, gehört zu werden (German Edition)

Titel: Zeit, gehört zu werden (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Amanda Knox
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Brille zurecht und leierte in seinem unprätentiösen Ton: »Der Prozess wird nicht eingestellt. Wir werden uns die Argumente beider Seiten zum forensischen Beweismaterial anhören.«
    Ich schluckte schwer und schloss die Augen, um meine Tränen in ihre Kanäle zurückzuzwingen. »Heute hören wir als Erstes Dr. Gino, nicht wahr?«, fragte Richter Massei.
    An diesen Anhörungen teilzunehmen oder nicht, war die einzige Entscheidung, die ich treffen durfte. Ich entschied mich, daran teilzunehmen. Nur so konnte ich zeigen, dass mir etwas an Meredith lag – daran, dass der Gerechtigkeit Genüge getan wurde. Ich nahm Platz und hörte zu.

    Niemand bestritt die Brutalität von Merediths Tod – es ging nur darum, wie es passiert und wer dafür veranwortlich war.
    Jeder glaubte, dass Rudy Guede in der Villa gewesen war und Meredith umgebracht hatte. Er saß bereits eine dreißigjährige Haftstrafe wegen sexueller Nötigung und Mord ab. Und das Ziel der Anklage war es zu beweisen, dass ich ebenfalls dabei gewesen war.
    Während der Phase der Zeugenbefragungen von Januar bis Juli hatten die Zeugen über alles Mögliche gesprochen, von meinen Gewohnheiten bei der Haushaltsführung über meinen Charakter bis zu meinen sexuellen Aktivitäten. Es war überaus persönlich und manchmal demütigend gewesen.
    Die forensische Phase, mit der das Verfahren nach der Sommerpause fortgesetzt wurde, dauerte zwar nur dreieinhalb Wochen, war aber dennoch endlos lang; Befragungen durch die Staatsanwaltschaft und die Verteidigung, Stunde um Stunde. Zeugen wurden aufgerufen, die über das Messer, den BH-Verschluss, meine »blutigen« Fußabdrücke, die Frage, wie sich meine DNA im Badezimmer mit Merediths Blut hatte vermischen können, und unsere angebliche Reinigung der Villa Auskunft geben sollten. Jeder Experte erklärte, wie man das Beweismaterial gefunden und dokumentiert hatte, wie Ergebnisse ermittelt und interpretiert worden waren. Sie sezierten Verbrechen, die ich nicht begangen hatte, und lasteten sie mir mit einer Terminologie an, die ich nicht kannte. Ich kam mir vor wie eine Beobachterin bei einem anderen Prozess. Die Fachleute sagten Dinge wie: »Amandas DNA befand sich am Griff des Messers«, und ich dachte: Wer ist diese Amanda?
    Ich stützte das Kinn in die Hand, um mir den Anschein zu geben, als würde ich nachdenklich zuhören, eine Fähigkeit, die ich während langweiliger Vorlesungen auf dem College entwickelt hatte. Doch so sehr ich mich auch bemühte, mich zu konzentrieren, meine Gedanken schweiften ständig ab, mein Kopf sank herab, und der agente, der hinter mir stand, holte mich wieder in den Albtraum zurück. Es war mir peinlich, aber noch viel mehr hatte ich Angst, dass man meine Unaufmerksamkeit als Gleichgültigkeit werten und mir als weiteren Minuspunkt ankreiden würde – obwohl auch manche Schöffen regelmäßig eindösten.
    Wenn die Aussagen nicht langweilig waren, dann waren sie verstörend. Ich fand es schier unerträglich, in den spröden, klinischen Begriffen an Meredith zu denken, mit denen die Forensiker sie beschrieben. Waren ihre blauen Flecken Indizien für sexuelle Gewalt oder dafür, dass man sie festgehalten hatte? Was sagten die Verletzungen an ihren Händen und ihrem Hals über die Dynamik der Aggression aus? Ließen die Blutspritzer und Blutschlieren auf dem Boden und am Kleiderschrank Rückschlüsse auf ihre Position in Bezug auf ihren oder ihre Angreifer zu, und wenn ja, welche?
    Die Anhörungen waren ermüdend, grausig und zutiefst erschütternd. Aber wir waren nicht mehr auf so lähmende Weise benachteiligt wie in den vergangenen zwei Jahren. Nachdem die Anklage nun gezwungenermaßen ihre Notizen, Testergebnisse und einige Rohdaten herausgerückt hatte, besaßen wir endlich Fakten. Und diese Fakten bestätigten, was ich schon immer gewusst hatte: Raffaele und ich hatten mit Merediths Ermordung nichts zu tun. Meredith war nie mit Raffaeles Küchenmesser in Berührung gekommen. Ich war nicht in ihr Blut getreten. Am liebsten hätte ich die Anklage ins Verhör genommen und sie gefragt, wie es sein konnte, dass ihre mit so viel Nachdruck präsentierte Geschichte so wenig der Wahrheit entsprach. Gott sei Dank hatten wir neben Dr. Walter Patumi aus Perugia auch noch Dr. Sarah Gino und Dr. Carlo Torre, beide Professoren für Kriminaltechnik an der Universität von Turin. Sie betraten den Zeugenstand und machten sich der Reihe nach daran, jede Behauptung der Anklage in der Luft zu zerreißen.
    Im

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