Zeit, gehört zu werden (German Edition)
nach dem Mord. Das Entscheidende war, dass es kein Blut gab.
Im Zeugenstand erklärte Stefanoni, der negative Bluttest sei irrelevant. Wir wussten, dass wir Blut vor uns sahen, erklärte sie, weil das Luminol heller leuchtete.
»Stimmt es, dass Luminol stärker leuchtet, wenn man es auf Blut sprüht?«, fragte Carlo Dr. Gino.
»Nein.«
Die Anklage hatte auf alles eine Antwort, auch wenn es bedeutete, dass sie log, um andere Lügen zu vertuschen.
Da sowohl Merediths als auch meine DNA im Flur vor dem Badezimmer gefunden worden waren, nahm Stefanoni an, dass ich etwas mit dem Mord zu tun hatte. Das war ein verblüffender Fehler für eine Forensikerin.
Menschen stoßen stündlich viele tausend Hautzellen ab, fast eine Million pro Tag. Wir alle hinterlassen DNA, wo wir gehen und stehen – wenn wir einen Arm auf einen Tresen stützen, einen Löffel Eis essen, ein Lenkrad umfassen oder barfuß gehen, so wie ich, als ich am Vormittag des 2. November nach Hause gekommen war, um zu duschen. Natürlich vermischte sich meine DNA auf dem gemeinsamen Flur zwischen unseren Zimmern mit der von Meredith – wir hatten sechs Wochen lang im selben Haus gewohnt und waren auf denselben Bodenfliesen gegangen.
Die Anklage hatte keinerlei Beweise gegen uns, und, noch schlimmer, sie hatte Informationen zurückgehalten, die wahrscheinlich unsere Unschuld bewiesen hätten. Noch ärgerlicher war, dass Stefanoni all dies während der Vernehmung durch die Verteidigung weiterhin bestritt.
Einige Dinge konnten weder bewiesen noch widerlegt werden. Man kann nicht erkennen, wie alt DNA ist. Mit forensischen Mitteln lässt sich nicht feststellen, wann ich Fußabdrücke im Flur hinterließ oder zu welcher Zeit ich im Bad war. Oder wie lange sich Raffaeles DNA schon auf Merediths BH-Verschluss befand – der einzige Beweis, der Raffaele mit Merediths Zimmer in Verbindung brachte. Das bedeutete, dass Raffaele und ich in derselben überaus frustrierenden Lage steckten.
Als die weiß gekleidete polizia scientifica am 2. und 3. November erstmals den Tatort abgesucht hatte, lag der kleine Stoffstreifen mit dem BH-Verschluss, abgeschnitten vom restlichen BH, unter dem blutigen Kissen unter Merediths Körper. Die Spurensicherer stellten ein Schildchen daneben und wiesen ihm den Buchstaben Y zu. Doch als sie die Beweismittel in Merediths Zimmer eintüteten und in das römische Labor schickten, wo Stefanoni arbeitete, wurde das Objekt Y übersehen und zurückgelassen.
Sechs Wochen später kehrte die polizia scientifica noch einmal in die Via della Pergola 7 zurück und entdeckte den BH-Verschluss erneut. Nur lag er diesmal etwa einen Meter von seinem ursprünglichen Fundort entfernt, unter einem aufgerollten Teppich und einer Socke. Zwischen den beiden Besuchen der Spurensicherung hatten andere Polizeieinheiten die Villa durchwühlt – und im Gegensatz zur polizia scientifica keinerlei Anstalten gemacht, den Tatort vor Kontamination zu schützen.
Raffaeles forensischer Experte zeigte noch einmal das Video von diesem zweiten Besuch in der Villa. »Der Verschluss wandert von einem Spurensicherer zum anderen, und wir sehen nicht, dass irgendjemand die Handschuhe wechselt«, hob er hervor. »Dann sehen wir, wie er auf den Boden gelegt und erneut aufgehoben wird. Diese Verfahrensweisen sind allesamt falsch … Wenn man die Handschuhe nicht wechselt und andere Gegenstände berührt, ist eine Kreuzkontamination von DNA sehr wahrscheinlich.«
Als Stefanoni gefragt wurde, wie der BH-Verschluss von einer Stelle zur anderen gelangt sei, ohne kontaminiert zu werden, erwiderte sie: »è traslato« – »Er hat sich bewegt« – eine Formulierung, mit der Italiener über religiöse Wunder sprechen.
»Und dabei ist er nicht kontaminiert worden?«, fragte Raffaeles DNA-Experte.
»Nein.«
»Wieso nicht?«
»Weil DNA nicht fliegen kann«, blaffte sie.
»Man ist auf ihn draufgetreten und hat ihn über den Boden geschleift, und Sie behaupten, es bestünde nicht die Möglichkeit, dass er kontaminiert worden ist?«
Hätte sich Raffaele in dem Zimmer aufgehalten, wäre seine DNA ebenso reichlich vorhanden gewesen wie die von Guede. Die Annahme, dass er sie nur auf einem einzigen Häkchen an Merediths BH und nirgendwo sonst zurückgelassen hätte, wäre unlogisch. Einer der Experten von Raffaeles Verteidigung wies darauf hin, dass das genetische Profil unvollständig war und zu 500 der 160 000 Bewohner von Perugia gepasst hätte. Aber der Hauptpunkt ist, dass in
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