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Zeit, gehört zu werden (German Edition)

Zeit, gehört zu werden (German Edition)

Titel: Zeit, gehört zu werden (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Amanda Knox
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ergibt doch überhaupt keinen Sinn!« Es war so unfair, dass mir die Kehle brannte.
    Guedes schnelle Verurteilung wegen gemeinschaftlich begangenen Mordes und Vergewaltigung hatte ihm die Höchststrafe eingetragen. Das Berufungsgericht befand ihn in beiden Punkten ebenfalls für schuldig. Aber der neue Standpunkt der Anklage – und der Grund für das reduzierte Strafmaß – war, dass Guede nicht das Messer in der Hand gehabt und folglich nur eine Nebenrolle gespielt hätte; er wäre eher für Merediths Vergewaltigung als für ihre Ermordung verantwortlich gewesen.
    Zwei Wochen nach Neujahr wurde ich ins Erdgeschoss geholt, um ein Dokument zu unterschreiben. Ich nahm an, es handelte sich um eine Bestätigung meiner Verurteilung. Ich lebe diese beschissene Realität schon jeden Tag, dachte ich. Ich brauche kein Stück Papier, das die Sache offiziell macht. Doch als die gleichgültige Wärterin mir das Papier über den Schreibtisch schob, sah ich zu meinem Erstaunen – und zu meiner Empörung –, dass es eine neue Anklage war. Wegen Verleumdung. Weil ich die Wahrheit darüber gesagt hatte, wie man bei meiner Vernehmung am 5. November 2007 mit mir umgesprungen war.
    Im Juni 2009 hatte ich ausgesagt, dass Rita Ficarra mich auf den Kopf geschlagen hatte, damit ich Patricks Namen nannte. Ich hatte auch ausgesagt, dass die Dolmetscherin der Polizei meine Unschuldsbekundungen nicht übersetzt, sondern mir stattdessen unterstellt hatte, ich würde mich bloß nicht daran erinnern, Patrick Lumumba bei seinem sexuellen Gewaltverbrechen an Meredith geholfen zu haben.
    Staatsanwalt Mignini zufolge war die Wahrheit Verleumdung. Die Staatsanwaltschaft behauptete, ich hätte insgesamt zwölf Polizisten verleumdet – jeden, der in dieser Nacht mit mir im Verhörraum gewesen war –, als ich gesagt hatte, sie hätten mich gezwungen zuzugeben, dass Meredith vergewaltigt worden sei, und mich gedrängt, Patricks Namen zu nennen.
    Mein Wort stand gegen ihres, denn die Polizei hatte es offenbar nicht für angebracht gehalten, den Schalter des Aufzeichnungsgeräts umzulegen, mit dem sie mich vor dieser Vernehmung im selben Büro der questura jeden Tag heimlich abgehört hatte.
    Ich zwang mich, die Anklageschrift bis zum Ende zu lesen, und sah, dass der Anwalt, der die Polizeibehörde vertrat, Francesco Maresca war – der Zivilanwalt der Kerchers.
    Mignini und seine Stellvertreterin, Manuela Comodi, hatten das Dokument unterzeichnet. Die Unterschrift der Richterin war mir ebenfalls vertraut: Claudia Matteini, die vor zwei Jahren meinen Antrag auf Hausarrest abgelehnt hatte, weil ich ihrer Ansicht nach sonst aus Italien geflohen wäre.
    Mit diesem Manöver der Polizei und der Staatsanwaltschaft hatte ich nicht gerechnet, aber es war plausibel. Sie konnten nicht zugeben, dass einer von ihnen mich geschlagen hatte oder dass die Dolmetscherin ihre Aufgabe nicht erfüllt hatte. Vor allem konnten sie nicht zugeben, dass sie mich so lange manipuliert hatten, bis ich ein falsches Schuldeingeständnis ablegte. Es ging schließlich um ihren Ruf und um ihre Jobs.
    Ich hatte mir ausgerechnet, dass ich in einundzwanzig Jahren wegen guter Führung entlassen werden könnte. Das schien nun unwahrscheinlich zu sein. Wenn ich in dem Verleumdungsprozess aussagen musste, würde ich noch einmal die Wahrheit darlegen müssen: Ich war unter Druck gesetzt und geschlagen worden. Sie würden mich der Lüge bezichtigen. Falls die Richter und Schöffen der Polizei glaubten, würde das meine gute Führung zunichtemachen und meine Haftstrafe um drei Jahre verlängern.
    Konnte es sein, dass Mignini, Comodi und die ganze questura es immer noch auf mich abgesehen hatten? Würde ich bis ans Ende meiner Tage verfolgt werden?
    Die Anklageschrift rief mir auf düstere Weise ins Gedächtnis, wie schutzlos ich war. Die Staatsanwaltschaft hatte nicht nur erfolgreich dafür gesorgt, dass ich für etwas verurteilt worden war, was ich nicht getan hatte, sondern ich war auch noch unwürdig, mich zu verteidigen. Rechtlich gesehen, bedeutete mein Wort gar nichts. Ich saß in der Falle.
    Und ich war ungeheuer wütend. Ich hatte noch nie jemanden verachtet oder war derart von ungebrochen negativen Gefühlen verzehrt worden wie in diesem Moment. Ich musste meine Gedanken davon abwenden. Zum ersten Mal hatte ich Angst vor der boshaften, elenden Bitterkeit, die ich empfand.
    Unglaublicherweise wurde Staatsanwalt Mignini zehn Tage später für seine Rolle im Fall des Monsters von Florenz

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