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Zeit, gehört zu werden (German Edition)

Zeit, gehört zu werden (German Edition)

Titel: Zeit, gehört zu werden (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Amanda Knox
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»Wer hat diese Männer eingeladen? Wie oft waren sie da? In welcher Beziehung stand Meredith zu ihnen? Hat sie jemals mit einem von ihnen gestritten?«
    Abgesehen von meiner Flunkerei in Bezug auf den Drogenkonsum in unserer Villa, erzählte ich ihm alles, was mir nur irgendwie einfiel. Ich zermarterte mir das Hirn, um mich an jeden zu erinnern, der Meredith auch nur angesehen hatte. Ich scrollte durch die Adressen in meinem italienischen Handy und gab ihm die Namen und Nummern all meiner Kontakte. Trotz alledem benahm er sich, als erzählte ich ihm nicht genug. Er verlangte energisch nach mehr, aber ich hatte nicht mehr zu bieten.
    Es ist schwer zu glauben, aber ich hatte nicht die leiseste Ahnung, dass die Polizei mich verdächtigte. Warum sollte sie auch? Ich war unschuldig. Meine Eltern hatten mir beigebracht, meine Bürgerpflicht zu tun. Ich war so darauf erpicht, den Polizisten zu helfen, dass ich keine Distanz gewinnen konnte. Und ich glaubte zu verstehen, weshalb sie mich unter Druck setzten.
    Wenn man ein Diagramm mit Merediths Mitbewohnerinnen in einem Kreis und ihren Freundinnen in einem anderen zeichnete, war ich die einzige Person in Italien, die in beiden Kreisen vorkam. Im Unterschied zu Laura und Filomena waren Meredith und ich ungefähr gleichaltrig, wir studierten beide und sprachen Englisch. Im Unterschied zu Amy, Robyn und den anderen Britinnen spuckten wir unsere Zahnpasta ins selbe Waschbecken und teilten uns das Essen im Kühlschrank. Falls jemand ein Detail kannte, das helfen konnte, ihren Mörder aufzuspüren, dann wohl am ehesten ich.
    Wenn ich nicht befragt wurde, hockte ich im Warteraum herum, bis mir die Polizei neue Anweisungen gab. Fast jede freie Minute verbrachte ich am Telefon mit meinen Eltern. Meine Mutter und Tante Dolly waren zu dem Schluss gelangt, dass es gut für mich wäre, einige Zeit bei Dolly und ihrer Familie in Hamburg zu bleiben, bis der Mörder gefasst war. Ich war bereit, überallhin zu reisen – Hauptsache, es ging nicht endgültig nach Hause.
    An diesem Nachmittag sprach ich mit einer beinharten Polizistin mit braunem Haar. Sie hieß Rita Ficarra, aber ich erfuhr ihren Namen erst zwei Jahre später, als sie vor Gericht gegen mich aussagte. »Meine Eltern möchten, dass ich nach Deutschland fahre und dort ein paar Wochen bei Verwandten bleibe«, sagte ich. »Ist das okay?«
    »Sie dürfen Perugia nicht verlassen. Sie sind ein wichtiger Bestandteil der Ermittlungen.«
    Sie schien mir jemand zu sein, mit dem man sich besser nicht anlegte. »Wie lange werden Sie mich brauchen?«, fragte ich.
    »Das wissen wir nicht – vielleicht Monate«, sagte sie.
    Ich war perplex. »Aber ich hatte vor, über Weihnachten nach Hause zu fliegen.«
    »Wir werden entscheiden, ob das geht«, erwiderte sie. »Mal sehen, was der magistrato sagt, wenn er in drei Tagen kommt.«
    Als ich das Gespräch meiner Mutter gegenüber wiederholte, war sie beunruhigt. »Das kann ich nicht nachvollziehen«, meinte sie.
    Später an diesem Nachmittag fragte meine Mutter: »Amanda, brauchst du mich dort bei dir?«
    Obwohl erst zwei Tage vergangen waren, sagte ich: »Mir wird bestimmt nichts passieren, aber ich wäre dir wirklich dankbar, wenn du kämst.«
    Der Ring um meine Brust löste sich, als sie mich wieder anrief und mir die Fluginfos durchgab. Sie werde am Dienstag, dem 6. November, morgens in Rom landen. Von dort werde sie mit dem Zug nach Perugia fahren und ich solle sie vom Bahnhof abholen. Sie sagte, sie wolle mir helfen, eine neue Unterkunft zu finden, und mir etwas zum Anziehen kaufen. Ich betrachtete ihren Besuch als eine Chance, mein Leben wieder ins Lot zu bringen.
    Irgendwann an diesem Nachmittag fuhr die Polizei mit mir zur Villa. »Ich bin völlig erschöpft«, gestand ich der Dolmetscherin neben mir auf dem Rücksitz.
    Eine Polizistin, die vorne saß, drehte sich um und sagte: »Glauben Sie vielleicht, wir sind nicht müde? Wir arbeiten durch, um dieses Verbrechen aufzuklären. Hören Sie auf, sich zu beklagen. Es klingt ja, als wollten Sie gar nicht, dass wir herausfinden, wer Ihre Freundin getötet hat.«
    Das war eine reichlich schroffe Reaktion.
    Als wir uns der Villa näherten, wurde ich aufgefordert, mich zu verbergen, damit die Übertragungswagen und Fotografen, die den Parkplatz über uns besetzt hielten und deren Kameras direkt auf unsere Auffahrt gerichtet waren, mich nicht sahen. Ich duckte mich, und die Dolmetscherin legte ihren Mantel über mich. So ließen die Polizisten

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