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Zeit, gehört zu werden (German Edition)

Zeit, gehört zu werden (German Edition)

Titel: Zeit, gehört zu werden (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Amanda Knox
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Gedanke huschte mir durch den Kopf. Was ist, wenn sie mich für tot hält? Wenn sie denkt, ich wäre auch umgebracht worden? Wie Meredith.
    Ich begann zu weinen. Da ich allein war, gab ich mir nicht einmal Mühe, mich zurückzuhalten.
    Meine Zelle hatte ein eigenes Bad und eine Küche – zwei durch eine dicke Glastür getrennte, schlauchartige Räume. Man musste durch die Küche gehen, die aus nichts weiter als einem langen Spülbecken aus Aluminium bestand, um zum Bad zu gelangen, wo die europäischen Standardinstallationen – Waschbecken, Bidet, WC und Dusche – hintereinander aufgereiht waren.
    Während ich auf der Toilette saß, kam die rothaarige Wärterin vorbei und beobachtete mich durchs Guckloch. Also gab es hier überhaupt keine Intimsphäre.
    Als ich zum Zentrum meiner Zelle zurückkehrte, schob jemand einen Plastikteller durch die einzige Öffnung in der Gitterwand. Thunfisch aus der Dose, kleingeschnittener roher Fenchel und in Tomatensoße ertränkter Reis. Ohne jeden Appetit stocherte ich im Reis herum; tröstlicherweise schmeckte er wie der von Uncle Ben’s, den ich von daheim gewohnt war. Etwas anderes brachte ich nicht herunter.
    Auf dem Bett krümmte ich mich wieder in die Embryonalstellung. Kurze Zeit später kam die agente vorbei und schloss die Metalltür hinter dem Gitter. Ich dachte: Jetzt bin ich in eine Gruft eingesperrt . Zu klaustrophobisch und zu panisch, um in diese Richtung zu sehen, rollte ich mich auf die andere Seite, wo ich durch das vergitterte Fenster ins Dunkel hinausstarren konnte.
    Dann heulte ich, bevor ich in unruhigen Schlaf fiel.

13
    7. November 2007
    I ch bin nicht religiös. Ich glaube nicht an Wunder. Ich weiß nicht, was ich von der Idee halten soll, dass es einen Gott gibt. Doch die Nonne, die mich an meinem ersten Tag im Gefängnis besuchte, machte einen außergewöhnlichen Eindruck auf mich. Sie war um die achtzig und trug die volle Ordenstracht – hellgrau vom Scheitel bis zur Sohle.
    Sie schob beide Hände durch die Gitter meiner Zelle und sagte, während sie meine ergriff: »Dio sa tutto. Ti aiuterà a trovare la risposta.«
    Obwohl sie Worte verwandte, die ich wahrscheinlich in keiner Sprache sagen würde, begriff ich: »Gott weiß alles. Er wird dir helfen, die Antwort zu finden.«
    Nun saß ich allein in meiner Zelle, über ein weißes Blatt Papier gebeugt, einen Kugelschreiber in der Hand, und bemühte mich verzweifelt, die in Fetzen zerhackten Erinnerungen aus der Nacht von Merediths Ermordung zusammenzufügen. Ich musste mich ganz genau daran erinnern, was ich in der Nacht des 1. November getan hatte. Konnte die Polizei recht haben? Litt ich vielleicht unter Amnesie? Als die Nonne gegangen war, hatte sie mir buona fortuna gewünscht – viel Glück. Und dabei gelächelt.
    Seit der Entdeckung von Merediths Leiche hatte ich die Mienen der Polizisten – und nun die der Wärterinnen – durchforscht, in der stummen Hoffnung, bestätigt zu finden, dass wir zusammenarbeiteten.
    Aber es war diese Nonne mit den wässrig-blauen Augen, den grauen Augenbrauen und der fast durchsichtigen Haut, die mir die Kraft gab, mich wieder auf mich selbst zu besinnen.
    Argirò hatte gesagt, für Leute wie mich, die nicht vorbestraft waren, sei die Absonderung von anderen Häftlingen Standardbehandlung.
    Aber es wurde mehr getan, als mich nur abzusondern. Indem man mir verbot, fernzusehen, zu lesen, indem man verhinderte, dass ich die Menschen sah, die ich am liebsten hatte und am meisten brauchte, mir keinen Anwalt stellte und mich mit nichts als meinen ungeordneten Gedanken allein ließ, konnte man mich in Unwissenheit halten und sicherlich auch versuchen, mich zu kontrollieren – mich so weit zu bringen, dass ich verriet, wie und warum Meredith gestorben war.
    Aber es gab nichts, was ich ihnen noch hätte sagen können. Ich war verzweifelt. Meine kratzige Wolldecke hielt die kalte Novemberluft nicht davon ab, mir bis in die Knochen zu dringen. So lag ich nun auf dem Bett, weinte und versuchte dabei, mich zu trösten, indem ich mir leise den Beatles-Song Let It Be vorsang, ein ums andere Mal.
    Ich setzte mich auf, als agente Lupa, die Wärterin, die am Vorabend bei mir die Leibesvisitation durchgeführt hatte, mit einer Kollegin zu meiner Zelle kam, um nach mir zu sehen. »Come stai?«, fragte sie.
    Ich versuchte zu antworten, zu sagen: »Alles in Ordnung«, konnte den Tränenfluss aber nicht stoppen. Lupa bat ihre Kollegin, die Tür aufzuschließen, und trat ein. Sie

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