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Zeit, gehört zu werden (German Edition)

Zeit, gehört zu werden (German Edition)

Titel: Zeit, gehört zu werden (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Amanda Knox
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zwei Monate später ließen die Ärzte mich wissen, der HIV-Test sei negativ ausgefallen. Oh, Gott sei Dank! Zweimal täglich musste ich zum Arzt, doch es war lange her, seitdem jemand HIV zur Sprache gebracht hatte. Die Wahrscheinlichkeit verängstigte mich nicht mehr so sehr, und mit der Zeit war ich überzeugt, dass alles in Ordnung war.
    Eine Woche nachdem ich die ursprüngliche HIV-Botschaft erhalten hatte, brachte eine Wärterin mich hinunter in die Büros im Erdgeschoss, wo drei Polizisten auf mich warteten. »Wir haben eine Vollmacht, Ihre Zelle zu durchsuchen«, sagten sie. »Wir geben Ihnen fünf Minuten vorab, um zu vernichten, was Sie möchten, oder Sie können uns gleich hinauflassen.«
    »Sie können jetzt mitkommen und alles durchsehen, was Sie wollen«, erwiderte ich.
    Ich fragte mich, was sie wohl zu finden hofften. Wollten sie meine Kleidung auf Spuren von Merediths Blut überprüfen? Ich kam mir beinahe selbstgefällig vor, denn ich wusste, sie würden nichts Belastendes finden, und ich hoffte, es würde sie vielleicht davon überzeugen, dass ich wirklich nichts zu verbergen hatte.
    Die Polizisten breiteten meine sämtlichen Papiere und Dokumente auf meinem Bett aus. Sie konfiszierten alles, worauf meine Handschrift war – meine Grammatikübungen, angefangene Briefe, Notizen, mein Gefängnistagebuch –, und ließen alles andere in der Zelle. Da begriff ich. Sie wollten sehen, was ich dachte.
    Das Chaos, das sie hinterließen, war nichts im Vergleich zu dem Chaos in meinem Kopf. Sie waren in mein Innerstes vorgedrungen und hatten mir gezeigt, dass nichts vor ihnen sicher war.
    Ein paar Monate danach gaben sie mein Tagebuch an die Medien, und statt zu berichten, dass ich insgesamt sieben Liebhaber gehabt hatte, schrieben einige Zeitungen, Foxy Knoxy habe in ihren sechs Wochen in Perugia mit sieben Männern geschlafen.

19
    18.–29. November 2007
    E ines Morgens, als ich auf den Bildschirm schaute, brachten sie eine aktuelle Sondermeldung. Verblüfft registrierte ich, dass es jetzt einen vierten Verdächtigen gab. Eine internationale Fahndung war eingeleitet worden.
    Die Polizei sagte nicht, wer der Verdächtige war oder wie er in das imaginäre Mordszenario passte, sondern nur, dass sie einen blutigen Handabdruck auf Merediths Kissenbezug gefunden hatten, der weder mir noch Patrick, noch Raffaele zuzuordnen war.
    Die Nachricht verunsicherte mich, machte mir aber auch Hoffnung. Vielleicht hatte dies ja zu bedeuten, dass die Polizei nicht gänzlich aufgegeben hatte, die Wahrheit herauszufinden. In den nächsten vierundzwanzig Stunden trieb mich die Frage um: Wer ist dieser Namenlose?
    Am nächsten Tag erfuhren es außer mir auch alle anderen, die den Fernseher eingeschaltet hatten. Sein Name war Rudy Guede. Seine Fingerabdrücke waren bei der Polizei aktenkundig, weil er ein Einwanderer mit Aufenthaltserlaubnis war. Der Name sagte mir nichts, bis ich sein Fahndungsfoto sah.
    O Gott, der ist das .
    Mir fiel der 5. November wieder ein, als ich im Flur der questura saß – in der Annahme, nur auf Raffaele zu warten – und mit dem silberhaarigen Polizisten sprach. Wie schon seit Tagen versuchte ich, mir all die Männer ins Gedächtnis zu rufen, die jemals unsere Villa besucht hatten, als ich mich plötzlich an einen Freund von Giacomo und Marco erinnerte. Ich ärgerte mich, dass ich nicht auf seinen Namen kam. »Ich glaube, er ist Südafrikaner«, erklärte ich dem Kripobeamten. »Ich weiß nur, dass er mit den Typen aus dem Untergeschoss Basketball spielt. Mitte Oktober haben sie ihn Meredith und mir auf der Piazza IV Novembre vorgestellt. Wir sind alle zusammen zur Villa gegangen, und dann waren Meredith und ich noch kurz bei ihnen in der Wohnung.«
    Danach hatte ich Rudy nur einmal gesehen. Er war im Le Chic aufgetaucht, und ich hatte seine Getränkebestellung aufgenommen. Die paar Worte waren die einzigen, die wir je gewechselt hatten.
    Ich lebte noch immer in Teilisolation, was bedeutete, dass ich nicht an Gruppenaktivitäten teilnehmen oder mit anderen Häftlingen sprechen durfte. Doch als ich darum bat, aus Gufas Zelle verlegt zu werden, hatte ich wirklich gehofft, sie würden mich wieder in eine Einzelzelle stecken. Stattdessen kam ich mit drei anderen Frauen zusammen. Und genau wie bei Gufa lief der Fernseher in Zelle Nr. 10 die ganze Zeit. Der einzige Unterschied war, dass ich mir jetzt, nach der Meldung über Guede, gar nicht genug Nachrichten ansehen konnte.
    Guede war zwanzig, wie ich

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