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Zeit zu hassen, Zeit zu lieben

Zeit zu hassen, Zeit zu lieben

Titel: Zeit zu hassen, Zeit zu lieben Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Willi Faehrmann
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kalten Heimat, der für Unglück in diesem Fall zuständig ist. Er kennt den Namen und auch das Sumpfloch, in dem er haust. Vielleicht bringen Waidewut oder Wurskaito das Unheil, vielleicht auch Potrimpos oder Schmorra.«
    »Wenn das so ist«, lachte Paul und warf Leo die Zigaretten zu.
    Pünktlich am Sonntag um neun klopfte Paul an Cremmes’ Tür. Cremmes stand schon bereit, hatte seinen dunklen Anzug angezogen und das Ordensbändchen ins Knopfloch geknüpft. »EK I und EK II«, sagte er stolz, aber er hätte dem Paul nichts zu erklären brauchen, denn der hatte lange genug in der Uniform gesteckt und über Orden war ihm alles eingedrillt worden.
    An der Haltestelle der Straßenbahn begrüßte Cremmes die ersten Bekannten und stellte Paul vor. Paul wurde es seltsam zumute, denn es war außer ihm kein Arbeiter unter den Männern. Hohe Beamte zumeist, ein Rechtsanwalt und ein Richter waren Mitglieder dieses Bundes. Und als schließlich in der Stadtmitte die letzten Herren zugestiegen waren, da klang es »Herr Doktor« hier und »Herr Assessor« da. Nur zwei Haltestellen weiter hielt die Straßenbahn. Cremmes und Paul sahen, wie an der hinteren Tür die Kaisertreuen ausstiegen. Cremmes wunderte sich, denn Mülheim war noch weit, aber schließlich stiegen sie auch aus und schlossen sich der Kolonne der etwa dreißig Männer an, die jetzt in die Stadt zurückmarschierten.
    »Wohin geht es?«, fragte Cremmes die Leute.
    »Mülheimer Straße«, war die kurze Antwort.
    Paul dachte, es müssten vielleicht Erlaubnisscheine für die Fahrt zur Ruhr abgeholt werden, und trottete arglos mit. Erst spät bemerkte er, dass die drei Männer, die neben dem Zug gingen, keineswegs Herren waren, die das Leben des Kaisers sichern wollten, sondern dass es sich um Belgier handelte.
    Vor dem Stadtgefängnis schließlich ahnte er die volle Bedeutung dieses Marsches, aber als er sich nun aus dem Staube machen wollte, da war es zu spät, denn belgische Soldaten nahmen die Männer in Empfang und drängten sie in den Gefängnishof. Heftige Proteste wurden laut, verhallten aber ohne Wirkung. Im Gegenteil schien es den Belgiern höchst willkommen, einen Bruder des Regierungsrats, einen pensionierten Generalmajor und viele Herren mit Rang und Namen eingefangen zu haben. Da halfen auch die Mitgliedskarten des Bundes für die Sicherung des kaiserlichen Lebens nichts und auch nicht die Ausweise, die die Besatzungsmacht selbst ausgestellt hatte und auf denen vermerkt war, dass es sich von Bergassessor Armander bis hin zum Direktor Dr. Zumholzer weder um Mitglieder des verbotenen Spartakusbundes noch um Bolschewisten handele. Jeder wurde einer gründlichen Leibesvisitation unterzogen. Die Tascheninhalte verschwanden in einem Papierbeutel. Auf den schrieb ein Sergeant mit roter Ölkreide eine Zahl. »Merken Sie sich die Nummer!«, herrschte er die Männer an.
    Später führte man die Gefangenen kurz dem Kommandanten vor. Auf einer Karteikarte notierte er eigenhändig Name, Beruf, Alter und Wohnung. Dann schoben die Soldaten je sechs in eine Zelle, die nur für zwei Personen eingerichtet war.
    Paul, der neben Cremmes am Schluss des Zuges gegangen war, kam als Letzter vor den Kommandanten. Nein, er gehöre dem Kaiserbund nicht an. Nein, er sei eher durch Zufall in die Gesellschaft geraten. Ja, er sei nun mal Arbeiter, Nieter genau, in der wischerhoffschen Werft und einen Doktortitel habe er auch nicht.
    Der Kommandant wurde wütend. »Überprüfen!«, sagte er kalt. »Bis dahin stecken Sie ihn zu den anderen ins Loch.«
    Zwei Tage lang teilte Paul mit einem Rechtsanwalt, einem leitenden Beamten des Einwohnermeldeamtes, einem adligen ehemaligen Major, einem Bauunternehmer und mit dem Leiter des Vorortpostamtes, Amtmann Friedrich Cremmes, die Zelle. Gleich in der ersten Nacht entdeckte er die Wanzen. Er protestierte mit den anderen gemeinsam dagegen, dass der Blechkübel, der mit einem Deckel völlig unzureichend abgedeckt werden konnte und auch lediglich für die Notdurft zweier Gefangener berechnet war, nur einmal am Tage geleert werden durfte und einen unerträglichen Gestank verbreitete. Sie forderten eine Waschgelegenheit, verwünschten die Wächter, die ihnen den Ausgang und das Lüften der Zellen untersagten, einen ganzen Tag verweigerten sie das Essen und schlangen dann unter Murren die wässrige Suppe hinunter. Sie erzählten ihre Lebensgeschichten und boten sich das Du an. Dem Paul gefiel das ganz gut, denn Edmund, Fritz, Georg, Heinrich-Wilhelm

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