Zeiten des Verlangens
Jonathan Safran Foer ist ausgefallen, wir brauchen also einen Ersatz für November …«
Regina sah ihm zu. Sie hörte ihn kaum, war aber gebannt von seinem selbstsicheren Auftreten und davon, wie fest er die Versammlung im Griff hatte. Sie hatte noch immer keinen Überblick über die Rollenverteilung und Hierarchie in der Bibliothek und die diversen Verknüpfungen zwischen Fundraising und der Finanzierung von Veranstaltungen, aber egal welcher Raum oder welche Veranstaltung, Sebastian Barnes hatte das Sagen.
Sie konzentrierte sich ganz auf ihren Notizblock. Nur wenn sie mitschrieb, konnte sie sich davon abhalten, ihn anzustarren. Ihn und die Art, wie er mit seinen großen Händen gestikulierte. Wie sich seine breiten Schultern unter dem Nadelstreifenhemd abzeichneten. Sein Lächeln, das nahelegte, dass die Geschehnisse in diesem Raum meilenweit entfernt waren von dem, woran er dachte.
Die Zeit schien stillzustehen und zu rasen zugleich. Regina wollte nicht, dass die Sitzung endete – als würde er sich in Luft auflösen, wenn es vorbei war. Natürlich war das unsinnig, aber schon mit ihm in einem Raum zu sein gab ihr ein Gefühl, das sie nicht gleich wieder verlieren wollte.
»Ich muss weiter«, sagte Sloan. »Mittagessen mit dem East Side Frauenleseverein.«
Regina sah auf die Uhr und bemerkte, dass es fast Mittag war.
»Wir sind sowieso gleich fertig«, stellte Sebastian fest und stand auf. »Regina – bleiben Sie noch einen Augenblick. Ich möchte Ihnen das Auswahlverfahren für die Kandidaten erklären.«
Sloan drehte sich um und warf ihnen einen seltsamen Blick zu. »Sebastian, sie muss wieder an die Arbeit«, sagte sie mit einem kurzen, gekünstelten Lachen, wie um anzuzeigen, dass es nun einmal zu ihrer Pflicht gehörte, es zumindest zu erwähnen.
»Du musst sie nicht lange entbehren, Sloan. Tu mir den Gefallen.« Er zwinkerte ihr zu. Sloan lächelte und verließ den Raum, zufrieden, jetzt ein Teil der Verschwörung zu sein.
Die übrigen Versammlungsmitglieder folgten ihr. Als Regina allein mit ihm war, bedeutete ihr Sebastian, sich wieder zu setzten. Er selbst nahm erneut den Platz an der Stirnseite ein.
»Kommen Sie doch etwas näher. Hier sitzt niemand mehr«, sagte er und deutete lächelnd auf die vier Stühle, die Regina zwischen ihnen freigelassen hatte. Sie schluckte, nahm ihren Notizblock und setzte sich neben ihn.
Sie konnte ihn einfach nicht ansehen.
»Regina, es ist toll, Sie dabeizuhaben.« Als er das sagte, gelang es ihr, seinem Blick zu begegnen. Er lächelte sie an, als würden sie ein Geheimnis teilen. Was ja auch stimmte. Sie wich seinem Blick aus.
»Und, wie lange arbeiten Sie schon hier?«
»Zwei Wochen.«
»Sind Sie aus New York?«
»Nein«, sagte Regina, der seine Fragen unangenehm waren. Sollten sie nicht über den Literaturpreis sprechen anstatt über sie? Sebastian sah sie erwartungsvoll an, und sie begriff, dass er immer noch auf ihre Antwort wartete, woher sie stammte. »Ich komme aus Philadelphia – beziehungsweise aus der Nähe. Main Line.«
»Main Line, was für eine vornehme Gegend«, sagte er lächelnd. Sie wusste nicht, ob er sich über sie lustig machte.
»Meine Familie ist aber nicht so«, verteidigte sie sich.
»Und wann sind Sie nach New York gezogen?«
»Vor einem Monat.«
»Wow. Dann sind Sie ja wirklich ein Frischling.«
Plötzlich wurde sie wütend. »Aber nicht in Bezug auf Bücher. Ich habe einen Abschluss in Bibliotheks- und Informationswissenschaften. Mit Magna cum laude.« Oje, warum hatte sie das bloß gesagt? Als kümmerte es sie, was er über sie dachte.
Er nickte, als ob er über diese Informationsflut nachdenken würde. »Ich nehme an, Sie lesen schnell? Mögen Sie Literatur?«
»Ja«, sagte sie und verschränkte die Arme.
»Wer sind denn so Ihre Lieblingsautoren?«
Sie sah ihn misstrauisch an. »Modern oder klassisch?«
»Egal.« Er lächelte, offensichtlich von ihr angetan, oder zumindest leidlich interessiert. Sie fand ihn herablassend und irritierend, aber sie würde den Teufel tun und sich von dieser Frage einschüchtern lassen.
»Nun, Henry James zum Beispiel.«
»Oh, ja. ›Das Raubtier im Dschungel‹.«
Sie sah ihn erstaunt an. »Sie haben es gelesen?«
»Sehen Sie mich nicht so an. Englisch war mein Hauptfach an der Uni. Natürlich habe ich es gelesen. Es ist eine meiner liebsten Kurzgeschichten.«
»Nur eine von vielen?«
»Ich glaube, ein paar von Raymond Carver führen die Liste an.«
Sie nickte. Gegen Raymond
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