Zeiten des Verlangens
Dekolleté, wischte das Blaubeermus von sich ab und leckte es von den Fingern, die Augen lustvoll halb geschlossen, die Zunge im Spiel mit ihrer Hand. Regina schauderte. Die Frau hätte nicht lasziver wirken können, hätte sie es sich auf der Bühne selbst gemacht.
Und dann merkte sie, dass auch ihr eigener Atem schneller ging und ihre Brustwarzen hart wurden und unter dem BH kribbelten.
»Ich geh dann mal heim«, erklärte Regina.
»Sei nicht albern – die Show geht doch gerade erst los«, meinte Carly.
»Ich bin müde.« Regina glitt von ihrem Barhocker und kämpfte sich durch die Menge zum Eingang, wo eine lange Schlange von Leuten darauf wartete, eingelassen zu werden.
Wieder einmal fragte sie sich, warum sie sich im Abseits immer am sichersten fühlte.
6
Am nächsten Morgen lag eine Nachricht von Sloan auf ihrem Tisch. »Kommen Sie sofort zu mir.«
Vielleicht war es ein Wink des Schicksals, dachte Regina. Wenn Sloan mit ihr reden wollte, war das am Ende die Antwort darauf, ob sie »den Vorfall« – wie sie ihn nun in Gedanken nannte – melden sollte oder nicht.
Regina hatte während der ganzen Fahrt in die Arbeit gegrübelt, ob sie Sloan von ihrem Erlebnis im dritten Stock berichten sollte. Als die Subway an der Station in der Zweiundvierzigsten Straße einlief, war sie endlich zu dem Schluss gekommen, dass die Bibliothek für eine verantwortungsbewusste Mitarbeiterin an erster Stelle stehen musste und sie den Kerl deshalb melden sollte. Blieb die Frage, wie sie es einfädeln sollte. Doch dass sie jetzt zu Sloan bestellt wurde, lieferte ihr den perfekten Aufhänger.
»Sie wollten mich sprechen?«, fragte Regina in der Tür.
Sloan saß an ihrem Schreibtisch und blätterte im Modern-Bride- Magazin. Auf ihrem Computer lief eine Modenschau für Hochzeitskleider von Vera Wang.
»Ja«, sagte Sloan. »Sie müssen mich auf ein Young-Lions-Treffen begleiten. Sie wissen, was die Young Lions sind, oder?«
Regina schüttelte den Kopf.
Sloan seufzte. »Die Young Lions gehören zum Fundraising-Programm der Bibliothek. Es ist ein Förderkreis für Mitglieder zwischen zwanzig und dreißig. Ich gebe Ihnen Informationsmaterial dazu. Für den Moment müssen Sie nur wissen, dass sie die jährliche Gala für den Literaturpreis finanzieren. Wir sind dieses Jahr schrecklich hinten dran. Das Komitee setzt sich aus Vorstandsmitgliedern der Bibliothek und dem Lese-Gremium zusammen, das Nominierungen aufstellt und den Gewinner bestimmt.«
»Ich glaube, ich habe davon gehört«, sagte Regina und fragte sich, wie sie zu ihrer kleinen Beobachtung überleiten sollte.
»Das hoffe ich doch. Wie dem auch sei, ich brauche eine Protokollantin. Eigentlich hatte ich eine Praktikantin dafür, aber sie hat aufgehört, deshalb müssen Sie heute einspringen. Wir treffen uns um zehn im Vorstandssaal im dritten Stock.«
Regina wusste alles über den Vorstandssaal – einen der prunkvollsten Räume der Bibliothek. Aber sie hatte ihn nie mit eigenen Augen gesehen und freute sich, jetzt eine Gelegenheit dazu zu bekommen. Dennoch hing ein Schatten über ihr.
»Okay, aber vor dem Treffen würde ich Sie gern in einer anderen Sache sprechen –«
»Nicht jetzt, Regina. Gehen wir.« Sloan loggte sich aus der Hochzeits-Website aus und hängte sich die Chanel-Tasche über die Schulter.
Dienstbeflissen folgte Regina Sloan durch den Gang. Ihre Chefin schien nicht an einer Unterhaltung interessiert, also hielt es Regina genauso und schwieg.
Der Vorstandssaal enttäuschte sie nicht. Mit Teakholzboden und einem weißen, üppig verzierten Marmorkamin war er ein Ausdruck von Eleganz. Ein Teil der Inschrift über dem Kamin lautete: Die Stadt New York hat dieses Gebäude für die freie Nutzung aller Menschen errichtet. MCMX .
Über die Decke zog sich ein ovales Relief aus cremefarbenen Borten. Ein riesenhafter Messinglüster hing in der Mitte, und selbst von ihrem Standpunkt aus konnte Regina einzelne Details der Teufelsfratzen und Löwen erkennen.
Regina setzte sich an den dunklen Eichentisch in der Mitte des Raums. Bis auf einen waren alle Stühle besetzt. Ein Block, ein frisch gespitzter Bleistift und eine Wasserflasche standen an jedem Platz.
»Wir fangen an, sobald Sebastian da ist«, erklärte eine kleine brünette Frau, die die Versammelten mit hoher Zwitscherstimme ansprach.
Die Wartenden unterhielten sich gedämpft, und Sloan neigte sich zu Regina: »Ich stelle Sie vor, wenn wir vollzählig sind. Ich glaube, wir warten nur noch auf den
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